Josef WITTERNIGG, geboren am 12. Oktober 1881 in Bleiburg (Pliberk), Kärnten, war konfessionslos, gelernter Hutmacher, sozialdemokratischer Politiker, verheiratet mit der sozialdemokratischen Politikerin Anna, geborene Schwabeneder, die zwei Kinder bekam, Margarethe und Josef.
Die nach österreichischem Recht in der Stadt Salzburg heimatberechtigte Familie wohnte seit 1918 an der Rainerstraße, in einem der palaisartigen »Faberhäuser« mit gutbürgerlichem Ambiente.
Bis zur Zerschlagung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) im Februar 1934 war Anna Witternigg Abgeordnete zum Salzburger Landtag, Vorsitzende des Frauenlandeskomitees und Mitglied des Frauenzentralkomitees der SDAP.
Ihr Ehemann war Mitglied des Gemeinderates der Stadt Salzburg, Klubvorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion, Abgeordneter zum Salzburger Landtag und zum Nationalrat und schließlich am 12. Februar 1934, als der Parteivorstand in Wien zum Generalstreik aufrief, eine der Schlüsselfiguren beim kampflosen Abgang der SDAP in Salzburg.
Ihre Landeszentrale, das Arbeiterheim, Paris-Lodron-Straße 21, hatte die »Telephonsprechstelle Nummer 459«, die aus »Präventivgründen« von der Polizei abgehört wurde.
Auch dem rund um das Arbeiterheim postierten »Nachrichtendienst« der Polizeidirektion Salzburg blieb nichts unbemerkt.
Die Polizei observierte das Gebäude und die am Vormittag des 12. Februar 1934 ein und aus gehenden Personen, die Parteifunktionäre Landeshauptmann-Stellvertreter Robert Preussler, Landesrat Karl EMMINGER, die Gemeinderäte Georg LEITNER, Heinz Kraupner und Franz Peyerl sowie Nationalrat Josef WITTERNIGG, der als Leiter des Generalstreiks mit Genossen Telefongespräche führte, in deren Verlauf mehrmals das Losungswort »Der Fritz ist angekommen« fiel: die Streikparole, die allen Genossen geläufig sein sollte.
Einem Genossen, der das Losungswort nicht verstand, musste jedoch der Sinn erklärt werden, was die mithörende Polizei ebenfalls akribisch protokollierte. Sie konnte noch am selben Tag die sozialdemokratischen Funktionäre verhaften, auch die Immunität genießenden Politiker EMMINGER und WITTERNIGG, die »infolge Betretung auf frischer Tat die Rechtswohltat der Immunität verwirkten«.
Es seien auch viele Vertrauensmänner, die in ihrem Arbeiterheim Informationen einholen wollten, inhaftiert worden, »um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, allfällige Weisungen betreffend den Generalstreik zu befolgen«.
Sowohl die Behörden als auch die Akteure kannten das Streikverbot, das die autoritäre Regierung Engelbert Dollfuss am 21. April 1933 für alle Betriebe des Bundes und des öffentlichen Wohls verordnet hatte.
Schon ein Aufruf zum Streik konnte mit einer Geldstrafe bis zu 2.000 Schilling oder einer Arreststrafe bis zu sechs Monaten geahndet werden. Den Streikenden drohte die Entlassung.
Der sozialdemokratische Parteivorstand unterließ im Frühjahr 1933 einen Aufruf zum Generalstreik.
Die sozialdemokratischen Funktionäre, die Mitglieder des illegalen Republikanischen Schutzbundes waren, galten aber nicht als Streikführer, vielmehr als Putschisten und Hochverräter.
Die mit 20. Februar 1934 datierte Anzeige der Bundespolizeidirektion Salzburg »gegen Emminger Karl, Preussler Robert, Witternigg Josef et Consorten [Genossen] wegen Verbrechens des Hochverrats gemäß § 58 St.G. [österreichisches Strafgesetz]« beginnt mit der stereotypen Begründung:
Die sozialdemokratische Partei hat in den letzten Jahren umfangreiche Vorkehrungen getroffen, um die Mitglieder des aufgelösten Republikanischen Schutzbundes mit verbotenen Waffen auszurüsten und einen Putsch gegen die Bundesregierung mit dem Ziele der Errichtung der Diktatur des Proletariates und der Ergreifung der Macht im Staate vorzubereiten.
Anzeige der Bundespolizeidirektion Salzburg, acht Seiten, in der Strafakte »Februarrevolte 1934« des Landesgerichtes Salzburg
Die Köpfe des seit Frühjahr 1933 illegalen Republikanischen Schutzbundes waren »polizeibekannt«: Landesleiter Karl EMMINGER, stellvertretender Landesleiter Georg LEITNER, Bezirksleiter Johann WAGNER, Gruppenführer Anton SCHUBERT und andere.
Der Republikanische Schutzbund als Wehrverband der SDAP war seinen Statuten gemäß dazu bestimmt, die demokratische Republik Österreich und ihre Verfassung zu schützen.
Er sollte somit im Falle eines Putsches antidemokratischer Kräfte zum Einsatz kommen, wurde aber unter dem autoritär regierenden Kanzler Engelbert Dollfuss kampflos aufgelöst, blieb zwar illegal bestehen, ein bewaffneter Aufstand galt aber als aussichtslos, da es an Waffen und kampferprobten Truppen mangelte.
Dennoch gab es gegen den Austrofaschismus bewaffneten Widerstand – in Orten, die bekannt sind, ihre Opfer ebenfalls. In Salzburg war die sozialdemokratische Landesleitung im Begriff, den Generalstreik anzuordnen und den Republikanischen Schutzbund zu mobilisieren.
Dieser hätte zumindest als unbewaffneter Streikschutz fungieren können, wäre der Streikaufruf angekommen und lückenlos befolgt worden – eine Illusion.
Stattdessen konnte die Polizei ungehindert Arbeiterheime, Wohnungen, Kohlenkeller und Dachböden durchstöbern, um Beweise, Corpora Delicti, für den vermeintlichen Putsch zu sammeln.
Fündig wurde sie am Dachboden des Arbeiterheimes an der Paris-Lodron-Straße: zwei Mannlicher-Gewehre, zwei Militärstutzen (umgearbeitet zum Kapselschießen), vier Flobertgewehre, vier Gewehrläufe, 2.150 Gewehrpatronen, 71 Gewehr- und Pistolenpatronen (Dum-Dum), 550 Stück Kapselschussmunition, drei Bajonette, sechs Stahlruten, sieben Ochsenziemer, 21 Beilpickel, acht Holzattrappen für Handgranaten, acht Tränkeimer und 50 Verbandspäckchen.
Polizei und Regierung wussten jedenfalls, dass der Republikanische Schutzbund mit den Waffen, die in den bekannten Depots lagerten und beschlagnahmt werden konnten, nicht in der Lage gewesen wäre, einen »Putsch« zu machen. Ein bewaffneter Aufstand hätte außerdem einer politisch-militärischen Vorbereitung bedurft.
Die Polizei wurde diesbezüglich nicht fündig, fand aber bei ihrer »Hausrevision« des Arbeiterheimes das Protokollbuch des Republikanischen Schutzbundes aus seiner legalen Zeit und den ebenso aus dieser Zeit stammenden »Alarmplan« (mit Sammelplätzen und 47 Aktivisten), der zum »Aufmarschplan« eines geplanten »Putsches« umgedeutet werden konnte. Daraus ließ sich ein Gewaltszenarium konstruieren, das die autoritäre Regierung Dollfuss zwecks Rechtfertigung ihrer Gewalt der Öffentlichkeit präsentierte.
Die Regierung – Österreich war seit März 1933 eine Diktatur auf der Basis eines Kriegsgesetzes – versuchte glaubhaft zu machen, dass der Stadt Salzburg wie Wien, Linz und anderen Orten ein Putsch vonseiten der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und ihres Republikanischen Schutzbundes gedroht habe, wie in der regierungstreuen Reichspost vom 2. März 1934 zu lesen ist:
Der sozialdemokratische Aufmarschplan gefunden.
Nach diesem Aufmarschplan [des Republikanischen Schutzbundes] war die Stadt Salzburg in neun Rayone eingeteilt und jeder dieser Rayone einer eigenen Kampftruppe unterstellt.
Der Mönchsberg und der Kapuzinerberg sollten sofort besetzt werden und von dort aus die Brücken und Salzachübergänge unter Maschinengewehrfeuer genommen werden.
Ferner sollte die Polizeidirektion, die Polizeikaserne sowie die Kasernen des Bundesheeres überfallsartig besetzt werden.
Der vom Sprachrohr der Regierung konstruierte »Aufmarschplan« beschreibt einen Putschversuch, der in der Realität weder geplant noch ausgeführt wurde, somit auch kein vereitelter Putschversuch sein konnte.
Bemerkenswert ist, dass ein Gewaltakt, der sich tatsächlich in der Nacht zum 13. Februar 1934 auf dem Rangierbahnhof in Gnigl ereignete, unerwähnt blieb, weil er offensichtlich nicht in das Bild passte, das man sich von einem Putsch gegen die Regierung machte: Eine Dampflokomotive (Bockmaschine), die in die Drehscheibengrube gestürzt war, blockierte die Remise (Lokschuppen), um die Lokomotiven an der Ausfahrt zu hindern.
Die als Sabotage bezeichnete Widerstandshandlung war Gegenstand eines Gerichtsverfahrens: Hans Frosch, Lokheizer, der sich den im Heizhaus aushängenden Dienstplan angesehen hatte und dabei gesehen worden war, wurde der Tat bezichtigt.
Das Verfahren gegen Frosch, Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und des Republikanischen Schutzbundes, musste mangels an Beweisen eingestellt werden, obschon »Verdacht nicht entkräftet«.
Der am 17. April 1934 aus der Haft entlassene Hans Frosch blieb Tatverdächtiger. Er hatte somit keinen Anspruch auf Haftentschädigung und verlor überdies seinen Arbeitsplatz: Entlassung aus dem Bahndienst, Vernichtung seiner Existenz, Schicksal unbekannt, wie bei »kleinen Leuten« üblich, die im Schatten von prominenten Figuren der Geschichte stehen.
Die Strafakte 1666/34 des Landesgerichtes Wien »gegen Otto Bauer und Genossen« wird häufig zitiert. Somit ist bekannt, dass ein Strafprozess gegen den Parteivorstand wegen »Verbrechens des Hochverrates« – trotz des bewaffneten Widerstandes im »Roten Wien« – nicht zustande kam.
Folglich konnte auch die Unrechtmäßigkeit der Regierung Dollfuss, die ihre Macht durch einen Staatsstreich oder Verfassungsbruch erlangte, kein Thema sein.
Zu beachten ist dabei, dass das Landesgericht Wien die Ansuchen der nicht verurteilten und aus der Haft entlassenen Sozialdemokraten um Haftentschädigung ablehnte. Sie blieben daher weiterhin dem Verdacht ausgesetzt, Drahtzieher eines Putsches und somit Hochverräter zu sein.
In Salzburg verlief es nicht anders. Die aus vier Bänden bestehende und mit dem Vermerk »nicht vernichten« versehene Strafakte »Februarrevolte 1934« (13 Vr 352/34) des Landesgerichtes Salzburg geriet jedoch in Vergessenheit, was sich daran zeigt, dass etliche Sozialdemokraten, die 1934 in Salzburg gerichtlich verfolgt wurden, in der 1991 publizierten Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945 nicht aufscheinen.1
Ratsam ist aber, die Salzburger Strafakte »Februarrevolte 1934« genau zu lesen, da sie durch die Verhöre und handschriftlichen Darstellungen der Beschuldigten, durch Polizeiprotokolle und beschlagnahmte Corpora Delicti über die Situation jener sozialdemokratischen Funktionäre Aufschluss geben kann, die am 12. Februar wegen »Verdachtes des Verbrechens des Hochverrates« verhaftet, am 25. Mai 1934 »gegen Gelöbnis auf freien Fuß gesetzt« (enthaftet) und am 25. Februar 1935 »außer Verfolgung gesetzt« (sic) wurden.
Letzteres kann bedeuten, dass die freigelassenen und »außer Verfolgung gesetzten« sozialdemokratischen Politiker, die weder angeklagt noch verurteilt worden waren, nicht mehr im Verdacht des Hochverrates standen.
Als sie aber das Gericht um Haftentschädigung ersuchten, mussten sie Gegenteiliges erfahren. Sie empfingen den Beschluss des Landesgerichtes vom 28. März 1935, dass ihnen »für die durch die Haft erlittenen vermögensrechtlichen Nachteile« kein Anspruch auf Entschädigung zustehe – Grund: »Verdacht nicht entkräftet«.
Die davon Betroffenen erhoben daher Beschwerde, Josef WITTERNIGG mit einer pointierten Begründung:
Ich bin kein Putschist, ich bin Republikaner! Ich bin kein Faschist, sondern Sozialdemokrat. […]
Das Hauptprogramm der Sozialdemokratie war, die demokratische Republik gegen den Faschismus jeder Art zu verteidigen.
Dem Einspruch der Beschwerdeführer wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 5. Juni 1935 nicht stattgegeben.
Das Gericht verweigerte ihnen sogar die Zustimmung zur Ausreise in die Tschechoslowakei. Josef WITTERNIGG wollte auf legalem Weg in das Exil gehen, wo sich bereits seit Februar 1934 die Leitung der in Österreich zerschlagenen und verbotenen sozialdemokratischen Partei unter Otto Bauer befand.
Bekanntlich hatte Otto Bauer, Einigungsfigur der SDAP in der Ersten Republik, Vertreter der auf Ausgleich gerichteten Politik, Theoretiker und Zauderer, die Februarkämpfe verhindern wollen.
Der Kapitulationskurs und kampflose Abgang des Parteivorstandes im Februar 1934 hatten bei jüngeren Generationen Verbitterung und Empörung hervorgerufen, was die als »Putschisten« denunzierten, weiterhin im Verdacht des Hochverrates stehenden und daher von der Staatspolizei observierten Parteiführer in Salzburg zu spüren bekamen.
Bekannt ist allerdings, dass annähernd 2.000 Menschen, größtenteils Mitglieder der verbotenen SDAP, am Begräbnis des am 28. Februar 1937 verstorbenen Politikers Josef WITTERNIGG teilnahmen: eine Bekundung der Loyalität und des Respekts.
Seine Witwe, die beide Diktaturen überstand, hatte als Hinterbliebene im befreiten Österreich Anspruch auf Opferfürsorge, da ihr Mann durch die politische Verfolgung unter der österreichischen Diktatur schwere gesundheitliche Schädigungen erlitt, an deren Folgen er 56-jährig verstarb.
Die im befreiten Salzburg nunmehr für die SPÖ aktive Anna Witternigg starb 77-jährig am 29. Mai 1967.
Ihre Tochter Margarethe, Kunsthistorikerin in Wien, starb bereits 1951 und ihr Sohn Josef, ein Architekt, lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2000 in Salzburg.
1 Sozialdemokraten, die 1934 gerichtlich verfolgt wurden, aber in der Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945 nicht aufscheinen: Simon Abram (Suizid am 29. Februar 1940 in Salzburg). Anton Baronit (Schicksal unbekannt), Karl Braunbock (Tod am 20. März 1945), Hans Frosch (Schicksal unbekannt), Maria Grabner (Verfolgte unter dem NS-Regime, Überlebende), Konrad Pausch (Tod am 25. April 1945), Felix Schwab (Überlebender), Karl Wagner (Exil, Überlebender), Georg LEITNER (stellvertretender Landesleiter des Republikanischen Schutzbundes und Verfolgter unter dem NS-Regime, der am 27. Oktober 1946 an Haftfolgen starb) und Johann REITER (Gruppenleiter des Republikanischen Schutzbundes in Lehen, der den Kriegsdienst verweigerte und am 25. Juli 1940 in Wien-Kagran erschossen wurde).
Erwähnung finden in der 1991 publizierten Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945 die sozialdemokratischen Funktionäre Robert Preussler, Karl EMMINGER, Johann WAGNER und Josef WITTERNIGG, die im Jahr 1934 gerichtlich verfolgt wurden und die Befreiung Salzburgs am 4. Mai 1945 nicht erlebten.
Im Jahr 1962 wurden nach Robert Preussler, Karl EMMINGER und Josef WITTERNIGG Straßen in Salzburg-Süd benannt.
Quelle
- Stadt- und Landesarchiv Salzburg
Stolperstein
verlegt am 02.07.2014 in Salzburg, Rainerstraße 2