Georg »Schorsch« KÖSSNER, am 30. Juli 1919 in Goldegg-Weng geboren und katholisch getauft, war das einzige Kind des Ehepaares Therese, geborene Holzmann, und Georg Kössner, Bauer und Gastwirt in Mitterstein 4.
»Schorsch«, der Hoferbe, war seit November 1941 mit der 1921 in Eschenau geborenen Therese Eder verheiratet. Das Paar hatte vier Kinder: Georg, Johann, Maria und Christian, der jüngste Spross, geboren am 7. März 1945, am Vortag der Hinrichtung seines 25-jährigen Vaters, der den Kriegsdienst in der deutschen Wehrmacht verweigert hatte.
Während seiner acht Monate dauernden Haft in Salzburg starb seine Mutter 64-jährig in Goldegg. Seine 23-jährige Ehefrau und sein 67-jähriger Vater, die mehreren Deserteuren Unterkunft und Verpflegung geboten hatten, gerieten am 2. Juli 1944 in die Fänge der Gestapo.
Da seine Ehefrau Therese schwanger war, wurde sie am 24. Oktober 1944 aus der Polizei- und KZ-Haft entlassen, und zwar wenige Tage vor dem Strafverfahren gegen ihren in Salzburg inhaftierten Ehemann.
Aber wie hätte ihm seine Familie beistehen können?
Georgs Vater – er war christlich-sozialer Bürgermeister in den 1920er Jahren und Funktionär der Vaterländischen Front unter der österreichischen Diktatur – galt als Gegner des nationalsozialistischen Regimes.
Im 13-seitigen »Zwischenbericht« der Gestapo Salzburg vom 20. Juli 1944 werden politische Urteile über Regimegegner gefällt:
Der Vater Georg Kössner hat die Deserteure im stärksten Maße in ihrer landesverräterischen Haltung bestärkt.
Im Gestapo-Bericht werden die Deserteure des »Landesverrates« bezichtigt. Es waren Widerstandshandlungen gegen ein terroristisches Regime, das einen Raub- und Vernichtungskrieg führte, andernfalls hätte die Gestapo unter dem Kommando von Georg König und Josef Erdmann am 2. Juli 1944 in Goldegg nicht eine derart exorbitante Gewalt angewendet: Morde, Verhöre, Misshandlungen, Verurteilungen und Deportationen.
Die Gestapo ließ den 67-jährigen Altbauern Georg Kössner im August 1944 nach Dachau deportieren. Er erlebte die Befreiung des Konzentrationslagers im April 1945 und konnte nach Goldegg heimkehren.
Georg KÖSSNER Junior hatte gehofft, seiner am 30. Oktober 1944 verhängten Todesstrafe durch Begnadigung zu entkommen – gleich wie sein Goldegger Weggefährte Richard Pfeiffenberger, der aber nach seiner Begnadigung an die Ostfront abkommandiert wurde und in sowjetische Kriegsgefangenschaft geriet. Er war verwundet und starb 22-jährig am 21. September 1946 in Retschyza am Dnepr.
Das überlieferte Urteil des Kriegsgerichtes gegen Richard Pfeiffenberger vom 13. September 1944 gibt zwar Aufschluss über Goldegger Deserteure, aber bloß aus nationalsozialistischer Sicht: Man bescheinigte Georg KÖSSNER ein schlechtes Leumundszeugnis.
Es begann mit Denunziation und Verleumdung und endete mit Justizmord.
Die Suche nach dem Todesurteil gegen Georg KÖSSNER blieb bisher erfolglos. Das vermisste Papier befand sich offensichtlich unter den Kriegsgerichtsakten, die – zum Schutz der Blutrichter – gegen Kriegsende verbrannt wurden.
Ein Aktenstück überdauerte allerdings die Geheimaktion der Kriegsjustiz: das Protokoll des »Oberstabsrichters« Dr. Erich Peyrer-Heimstätt1 vom 8. März 1945 über die Hinrichtung von drei jungen Deserteuren der deutschen Wehrmacht in der Endphase des Vernichtungskrieges.
Somit wissen wir, dass ein Kriegsgericht der Division 418 seine im Salzburger Justizgebäude verhängten Todesurteile gegen den 20-jährigen Ernst PICKL, den 25-jährigen Georg KÖSSNER und den 26-jährigen Wilhelm GROISS am 8. März 1945 um 16 Uhr 43 auf dem Militärschießplatz in Glanegg von einem 30 Mann starken »Vollzugskommando« exekutieren ließ.
Dokumentiert ist also, dass drei junge Menschen am selben Tag, zur selben Zeit und am selben Ort getötet und auf dem Kommunalfriedhof in Salzburg begraben wurden, wobei die Kriegsjustiz jegliche Totenehrung inklusive Traueranzeigen zu verhindern wusste – damnatio memoriae.
Ihre Namen sollten aus unserem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden.
Es gab allerdings einen Zeugen: Karl Völk, Pfarrer des Wehrmachtsstandortes Salzburg, der die Deserteure von der Zelle bis zur Exekution seelsorglich zu begleiten hatte. Der Priester war vom schweren Leid der Familie KÖSSNER tief berührt:
Ich besuchte Kössner jede Woche einmal und auch öfters. Seine Frau war ja im KZ wie auch der Vater. Die Frau kam im November 1944 heim, weil sie ein Kind erwartete.
Nach dem Todesurteil wartete Kössner 4 Monate auf Begnadigung, die dann abgelehnt wurde. Man ließ ihn so lange warten, bis das Kind zur Welt kam. Dies hatte dann eine Tragik hineingebracht.
An dem Tage vor der Hinrichtung kam das Kind zur Welt.
Am anderen Tage brachte der Briefträger der Wöchnerin die Nachricht, von der sie glaubte, dass die Begnadigung ihr mitgeteilt wird.
Voll Freude öffnete die Frau die Post, dann war das vollzogene Todesurteil enthalten. Den Schrecken können Sie sich vorstellen; und dazu noch bei einer Wöchnerin, es war das 4. Kind.
(Zeugenbericht des Priesters Karl Völk vom 25. Februar 1964)
Dank seines Berichtes ist außerdem bekannt, dass die in Salzburg begrabene Leiche des Georg KÖSSNER im August 1945 exhumiert und in seinem Heimatort Goldegg in Gegenwart seiner Familie beigesetzt werden konnte.
Befremdlich ist hingegen, dass die im befreiten Salzburg gestellten Anträge seines Vaters und seiner Witwe auf »Amtsbescheinigung«, auf Opferfürsorge mit Rentenanspruch, abgewiesen wurden.
Sie gelten somit nicht als »Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich«2. Sie werden ebenso wenig im öffentlichen Raum ihres Heimatortes Goldegg namentlich gewürdigt – damnatio memoriae, der lange Schatten des Nationalsozialismus.
Es mangelt jedoch nicht an Zivilcourage. Dank der Initiative von Brigitte Höfert (Tochter des in Mauthausen ermordeten Karl Rupitsch) und Michael Mooslechner konnte im August 2014 ein vom Bildhauer Anton Thuswaldner entworfener Gedenkstein mit den Namen von 14 widerständigen Frauen und Männern3 auf einem Privatgelände in Goldegg aufgestellt werden.
Es zeigt sich aber, dass die in Stein gemeißelten Namen selbst am Ortsrand von Goldegg unerwünscht sind, da der Gedenkstein Anfang September 2018 bis zur Unlesbarkeit mit Farbe beschmiert wurde.
Die Täter sind nicht zu fassen.
1 Dr. Erich Peyrer-Heimstätt (geb. 1899, gest. 1977 in Salzburg), im Zivilberuf Notar, in den Kriegsjahren 1944/45 »Oberstabsrichter« des Kriegsgerichtes 418, im befreiten Österreich wieder seinen Zivilberuf ausübend, schließlich Mitglied des Kuratoriums der Internationalen Stiftung Mozarteum und Präsident der Freunde der Salzburger Festspiele.
2 Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung (Opferfürsorgegesetz)
3 Goldegger Gedenkstein mit den Namen der Terroropfer: Alois und Theresia Buder, Theresia Bürgler, August Egger, Maria und Rupert Hagenhofer, Alois und Simon Hochleitner, Georg Kössner, Alma Netthoevel, Peter Ottino, Richard Pfeiffenberger, Karl Rupitsch und Kaspar Wind – DEN OPFERN DES »STURM« AM 2. JULI 1944 IN GOLDEGG-WENG UND ALLEN KZ-ÜBERLEBENDEN
Quellen
- Salzburger Landesarchiv: Opferfürsorge- und Gerichtsakten, 13-seitiger Zwischenbericht der Gestapo Salzburg (Dr. T. Grafenberger) vom 20. 7. 1944
- Archiv der Erzdiözese Salzburg: Matrikenbücher und Militärmatriken
- Österreichisches Staatsarchiv: Todesurteil des Kriegsgerichtes der Division 418 (Dr. Wilhelm Krepper) gegen Richard Pfeiffenberger vom 13. 9. 1944, Protokoll des Kriegsgerichtes der Division 418 (Dr. Erich Peyrer-Heimstätt) vom 8. 3. 1945
- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Zeugenbericht des Karl Völk, Dechant von St. Johann im Pongau, vom 25. 2. 1964
- Michael Mooslechner und Robert Stadler: St. Johann im Pongau 1938-1945. Das nationalsozialistische »Markt Pongau«. Der »2. Juli 1944« in Goldegg – Widerstand und Verfolgung, Eigenverlag 1986
- Die Goldegger Wehrmachtsdeserteure. Gedenkstein 2014, Hg. Verein der Freunde des Deserteursdenkmals in Goldegg, Mai 2019
- Stadtarchiv Salzburg: Mitteilung der Friedhofsverwaltung 8. 6. 2022
Stolperstein
verlegt am 27.09.2022 in Salzburg, Kajetanerplatz 2