Irma HERZ, geboren am 11. Mai 1870 in Salzburg, und Anna STUCHLY, geboren am 16. Dezember 1872 in Salzburg, waren Töchter des jüdischen Ehepaares Karoline, geborene Breuer, und Albert Pollak.

Das Paar hatte 1869 in Wiener Neustadt, dem Geburtsort der Karoline Breuer geheiratet. In Salzburg existierte damals noch keine jüdische Gemeinde, auch keine Synagoge.
Die in Salzburg geborenen Kinder, sechs Töchter und zwei Söhne des Ehepaares Pollak sind allerdings in der Heimatmatrik der Stadt Salzburg registriert, weil hier die Familie Pollak nach österreichischem Recht heimatberechtigt war.

Albert (Abraham) Pollak stammte aus der jüdischen Gemeinde Mattersdorf (seit 1924 Mattersburg) im damaligen ungarischen Komitat Ödenburg (Sopron). Er hatte seinen Militärdienst im Salzburger Hausregiment »Erzherzog Rainer« abgeleistet, durfte sich jedoch erst 1867 – im Jahr des Staatsgrundgesetzes mit der Beseitigung von Zuzugs- und Aufenthaltsverboten für Juden – in Salzburg niederlassen.

Innerhalb weniger Jahre bekam Albert Pollak, von Beruf Antiquar, den Titel k. k. Hofantiquar sowie das Heimat- und Bürgerrecht der Stadt Salzburg verliehen. Er war ein gut situierter Jude, seit 1883 sogar Hausbesitzer.
Das Haus Schwarzstraße 12 verkaufte er jedoch bald an das jüdische Ehepaar Nathan und Gisela Kölbl.

Die Familie Pollak wohnte zunächst im »Palais Überacker« am Makartplatz und seit 1896 in der Neustadt unweit der Kirche St. Andrä, in einem der im Ringstraßenstil erbauten »Faberhäuser« an der damals so genannten Westbahnstraße (Rainerstraße seit den 1930er Jahren, benannt nach dem Salzburger Hausregiment »Erzherzog Rainer«).

Im antisemitischen Salzburg galten die »Faberhäuser« und angrenzenden »Hellerhäuser« wegen ihrer Wiener Bauherren und ihrer zumeist wohlhabenden Mieter als »Judenhäuser«.
Es war nicht zu übersehen, dass jüdische Familien mit Vorliebe im Salzburger Andrä-Viertel lebten, dazu gehörten auch die Rabbiner Wilhelm Pollak und Adolf ALTMANN sowie die Kantoren Jakob Stefansky und Hermann KOHN.

Dank Albert Pollaks Engagement hatten sich etliche jüdische Familien, darunter seine Geschwister Adolf, Amalia und Katharina, aus dem österreichisch-ungarischen Grenzsaum und anderen Gebieten der Monarchie in Salzburg angesiedelt.

Rund 50 jüdische Familien erlangten das Heimatrecht der Stadt Salzburg. Albert Pollak gilt daher zu Recht als Begründer der jüdischen Gemeinde in Salzburg, die seit 1893 einen eigenen Friedhof und seit 1901 eine Synagoge besitzt, allerdings erst seit 1911 eine selbständige Körperschaft des öffentlichen Rechts und somit zur Führung von Geburts-, Trauungs- und Sterbematriken verpflichtet ist.

Albert Pollak war Mitglied des Kultusrates und Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg. Er bekam noch in der Friedensära den Titel »Kaiserlicher Rat« verliehen – ein honoriger Mann, der im hohen Alter den Zusammenbruch des Habsburgerreiches, die Anfänge der Republik Österreich und somit den aggressiven Antisemitismus in Salzburg miterleben musste.

Albert Pollak starb 87-jährig und fand seine letzte Ruhe auf dem jüdischen Friedhof in Salzburg. Auf seinem Grabstein steht geschrieben:

»Hier ruht mein innigstgeliebter, unvergesslicher guter Mann, unser bester aufopfernder Vater, Kaiserlicher Rat ALBERT POLLAK, Hofantiquar, Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde und Bürger der Stadt Salzburg, gestorben am 5. Januar 1921 im 88. Lebensjahr. Friede seiner Asche!«

Eine Grabinschrift, die Aufstieg und Erfolg, Anerkennung und Integration des Familienoberhauptes und Repräsentanten der jüdischen Gemeinde in Salzburg bekundet: eine gelungene Verortung ihrer ersten Generation während der langen Friedensära der Monarchie Österreich-Ungarn.
Die erwachsenen Kinder des Ehepaares Pollak hatten ihre Zukunft allerdings woanders gesucht.

Karoline Pollak, die ihren Ehemann um 21 Jahre überlebte, hatte 15 Enkelkinder – keines war in Salzburg zur Welt gekommen. Karolines älterer Sohn Ignaz Georg war seit den 1910er Jahren Antiquar und Kunstkritiker in Paris, rue Pigalle.

Er besaß seit 1922 einen Diplomatenpass der Republik San Marino und hieß seither Ignazio Giorgio Pollak. Er war in erster Ehe mit der Engländerin Ruby Underwood, in zweiter Ehe mit der Salzburgerin Roswitha Junger verheiratet und hatte aus beiden Ehen einen Sohn und drei Töchter.
In der Heimatmatrik und Meldekartei der Stadt Salzburg sind außerdem sein Religionsaustritt und seine Ausbürgerung wegen des Besitzes einer anderen Staatsbürgerschaft vermerkt.

Karoline Pollaks jüngerer Sohn Theophil war Berufsoffizier in der österreichisch-ungarischen Armee und hernach Inhaber einer Agentur in Wien, blieb aber in Salzburg heimatberechtigt. Er war seit 1925 mit der Belgierin Germaine van Calster verheiratet.
Da er Jude und sie Katholikin war, wurde ihre Ehe nicht in einer Synagoge oder Pfarre, sondern im Magistrat der Stadt Wien geschlossen. Ihre Ehe blieb kinderlos.

Karoline Pollaks Töchter, die andernorts heirateten, besaßen das Heimatrecht ihrer Ehemänner, was damals Usus war. Ihre Tochter Gisela war seit 1891 die Ehefrau des Prager Kaufmanns Sigmund Böhm und hatte drei in Südtirol geborene Kinder, Robert, Edith und Ilse. Nach dem frühen Tod Gisela Böhms lebten ihre Kinder zunächst bei einer Tante in Wien.

Karoline Pollaks jüngste Tochter Katharina (Käthe) war seit 1902 die Ehefrau von Abraham Hersch (Hermann) Sporer, der Versicherungsagent und Inhaber einer Klassenlotterie war.
Das in Wien lebende Ehepaar Sporer hatte vier Kinder, Egon, Risa, Hella und Erna, die ihre Sommerferien in Salzburg verbrachten.

Bemerkenswert ist, dass die seit 1921 verwitwete Karoline Pollak vornehmlich bei ihren Kindern in Wien lebte, ihren Wohnsitz am Ort ihrer Heimatberechtigung aber aufrechterhielt: Salzburg, Rainerstraße 2, erste Etage.
Zeitweilig wohnten dort ihre verwitweten oder alleinstehenden Töchter Eugenie, Gabriele, Anna und Irma. Karoline Pollaks Tochter Eugenie Brock, deren Ehemann als Berufsoffizier im 1. Weltkrieg gefallen war, lebte seither abwechselnd in Wien und Salzburg.

Karoline Pollaks Tochter Gabriele Hirsch, Witwe eines Berliner Fabrikanten und Mutter zweier in Berlin geborener Kinder, Regina und Herbert, lebte nach Hitlers Machtantritt im Jahr 1933 notgedrungen in Salzburg und Wien. Karoline Pollaks Tochter Anna war in erster Ehe mit Emanuel Fantl und in zweiter Ehe mit Josef Stuchly verheiratet. Beide Ehen, die erste mit einem Juden, die zweite mit einem Katholiken, blieben kinderlos.

Anna STUCHLY, mittlerweile ohne Religionsbekenntnis, lebte mit ihrem zweiten Ehemann in Salzburg und leitete eine Zeit lang das Geschäft ihres verstorbenen Vaters Albert Pollak, allerdings glücklos. Annas zweite Ehe – ihr Mann war um 15 Jahre jünger – ging ebenfalls in die Brüche.

Karoline Pollaks älteste Tochter Irma war seit 1888 die Ehefrau von Dr. Leopold Herz, der zunächst Regimentsarzt des in Salzburg stationierten Dragonerregiments Nr. 4 war, dann in anderen Garnisonen der Monarchie Österreich-Ungarn seinen Dienst versah.
Das jüdische Ehepaar hatte zwei Kinder, Bela Alexander, geboren am 21. April 1889 in Wels, und Therese (Terezie oder Terka), geboren am 21. März 1899 in Prag. Danach war Dr. Herz Chefarzt der Garnison Stanislau im österreichischen Kronland Galizien (jetzt Ukraine).

Derweilen wohnte die »Stabsarztensgattin« Irma HERZ mit beiden Kindern in Salzburg. Ihr Sohn Bela Alexander besuchte hier das Humanistische Gymnasium. Er maturierte in Wien, studierte dort und promovierte im Dezember 1912 zum Doktor der Medizin.
Er war fortan Arzt in Wien, während des 1. Weltkrieges Offizier und Militärarzt, schließlich Direktor des Versorgungsheimes für pflegebedürftige Menschen in Lainz.

Nach dem Ende der Monarchie Österreich-Ungarn lebten Dr. Leopold und Irma Herz mit ihrer Tochter Therese in Bratislava, damals Tschechoslowakische Republik. Im Mai 1929, nach dem Tod des Ehemannes Dr. Leopold Herz, übersiedelte die Witwe Irma HERZ mit ihrer Tochter Therese, beide tschechoslowakische Staatsangehörige, nach Salzburg, Rainerstraße 2, erste Etage.

Auf dem Meldeschein der Irma HERZ ist ihre Mutter Karoline Pollak als Wohnungsgeberin vermerkt. Aus dem Melderegister geht außerdem hervor, dass sich unter dem NS-Regime ein deutscher Führer des Reichsarbeitsdienstes in der Wohnung Karoline Pollaks einquartierte. Somit wurde auch ihr Name in Salzburg ausgelöscht.

Irmas Sohn Dr. Bela Alexander Herz, der ledig blieb und zum katholischen Glauben konvertierte, in Wien Arzt und Direktor des Versorgungsheimes Lainz war, beging 48-jährig am 12. März 1938 Suizid – einer von vielen Juden, die an diesen Tagen des antisemitischen Terrors keinen Ausweg mehr sahen. Die im nationalsozialistischen Wien noch anwesende Trauerfamilie konnte sich von ihrem Toten in der Feuerhalle Simmering verabschieden.

Die Lebenden mussten ebenfalls voneinander Abschied nehmen. Verbürgt ist, dass Irma HERZ und ihre Tochter Therese im September 1938 Österreich verließen, in die damals noch nicht besetzte Tschechoslowakei reisten.
Auch den in Wien lebenden Geschwistern Gabriele Hirsch, Katharina Sporer und Theophil Pollak gelang noch rechtzeitig die Flucht ins Ausland: Sie überlebten (Argentinien, Brasilien, USA und Belgien).

Ihre verwitwete Schwester Eugenie Brock starb 67-jährig am 3. Mai 1939 im nationalsozialistischen Wien und wurde in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs beerdigt.
Im selben Grab wurde ihre am 13. Februar 1942 in einem jüdischen Heim verstorbene Mutter Karoline Pollak beigesetzt.

Die 90-jährige Frau musste somit die Deportation ihrer Töchter Anna und Irma und ihrer Enkelin Therese nicht miterleben.

Anzunehmen ist, dass Anna, die als einzige ihrer Geschwister noch in Wien lebte, am Begräbnis ihrer Mutter Karoline teilnahm. Anna STUCHLY, 70-jährig, alleinstehend und ohne religiöses Bekenntnis, wurde am 14. Juli 1942 von Wien – gemeinsam mit den aus dem Salzburger Andrä-Viertel vertriebenen Ehepaaren ANINGER, FISCHER und SPIEGEL – nach Theresienstadt und am 21. September 1942 – gemeinsam mit den ebenfalls aus Salzburg vertriebenen Frauen Amalie ROSENFELD und Anna POLLAK, einer Cousine Anna STUCHLYS – nach Treblinka deportiert, dort ermordet. Ihr Todestag ist unbekannt.

Annas Schwester Irma HERZ und deren Tochter Therese lebten seit September 1938 in Prag (Praha), seit März 1939 Hauptstadt des »Protektorates Böhmen und Mähren« unter deutscher Herrschaft. Dokumentiert ist die letzte Adresse der beiden Jüdinnen, Prag XIX, Baumgartenzeile 23, ihre Deportation am 30. Juli 1942 nach Theresienstadt und der Tod der 72-jährigen Witwe Irma Maria HERZ am 18. November 1942.

Ihr Religionsbekenntnis war römisch-katholisch laut der offiziellen Todesfallanzeige des Konzentrationslagers Theresienstadt. Irmas Tochter Therese konvertierte vermutlich ebenfalls vom jüdischen zum katholischen Glauben, da ihr zweiter Vorname wie jener der Mutter Maria lautet.

Gewiss ist jedenfalls, dass die 44-jährige Therese Herz am 18. Dezember 1943 im Transport »Ds« von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert wurde.

Die rund 2.500 Häftlinge des Transportes »Ds«, darunter die aus Salzburg vertriebenen Offizierswitwen Helene FRÖHLICH und Klara KIESLER, mussten nicht gleich nach ihrer Ankunft den Gastod erleiden, sie kamen in das »Familienlager Theresienstadt«, das im Widerspruch zu seinem irreführenden Namen im Sektor B II b von Auschwitz-Birkenau lag und der SS zur Verschleierung ihres Massenmordes diente: Gastod nach sechsmonatiger »Schonfrist«.

Therese Herz zählte allerdings zu den wenigen Häftlingen, die vor der Liquidierung des »Familienlagers Theresienstadt« im Juli 1944 für arbeitstauglich befunden und zur Zwangsarbeit in das durch Bomben schwer zerstörte Hamburg abkommandiert wurden.
Im März 1945 mussten die Überlebenden dieses Arbeitskommandos in das KZ Bergen-Belsen marschieren.

Darunter befand sich Therese Herz, die am 15. April 1945 die Befreiung Bergen-Belsens erlebte, auch die grassierende Epidemie überstand und am 24. Juli 1945 in ein schwedisches Lager für »displaced persons« gelangte. Unbekannt ist bislang, in welches Land Therese Herz emigrieren konnte.

In der Shoah-Datenbank Yad Vashem finden wir ein Gedenkblatt für Karoline und Albert Pollaks Tochter Irma HERZ, jedoch keines für Anna STUCHLY. Ihr jüngerer Bruder Ignaz (Ignazio) Pollak überstand die Terrorjahre im besetzten Frankreich, er starb 1945 in Nizza (Nice).

Bekannt ist noch, dass der im belgischen Exil überlebende Theophil Pollak als einziger seiner Geschwister nach Österreich zurückkehrte.

Er starb 77-jährig in Wien und wurde im Urnengrab seines Neffen Dr. Bela Alexander Herz beigesetzt (1998 ist die Ruhezeit der Urnen abgelaufen). Eine Enkelin Albert und Karoline Pollaks kam ebenfalls aus dem Exil nach Österreich zurück: Edith, geborene Böhm, Ehefrau des Chemikers und Erfinders Dr. Jean Guillaume Billiter, dem eine Villa in St. Gilgen am Wolfgangsee gehörte.
Das Urnengrab des Ehepaares Billiter befindet sich auf dem Ortsfriedhof von St. Gilgen.

Auf dem jüdischen Friedhof in Salzburg existiert kein Grab eines Kindes oder Enkels von Karoline und Albert Pollak.

Quellen

  • Israelitische Kultusgemeinden Linz, Salzburg und Wien
  • Stadt- und Landesarchive Salzburg und Wien
  • Shoah-Datenbanken DÖW und Yad Vashem
  • Todesfallanzeige KZ Theresienstadt
Autor: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 02.07.2014 in Salzburg, Rainerstraße 2

<p>HIER WOHNTE<br />
IRMA HERZ<br />
GEB. POLLAK<br />
JG. 1870<br />
DEPORTIERT 30.7.1942<br />
THERESIENSTADT<br />
ERMORDET 18.11.1942</p>
Familienvater Albert Pollak
Foto: IKG Salzburg Meldeschein von Irma Herz Grabstein Albert Pollak
Foto: IKG Salzburg

Alle Stolpersteine: Rainerstraße 2