Rosette ANDAY als Piroska Andauer am 22. Dezember 1899 in Budapest geboren, war ein Kind des jüdischen Ehepaares Elvira (Ella), geborene Holländer, und Ludwig Andauer.
Am 4. April 1900 erschien in der deutschsprachigen Tageszeitung Pester Lloyd (Budapest) eine Todesanzeige. Darin benachrichtigt die Witwe Ella Andauer in ihrem und im Namen ihres Kindes Piroska die Öffentlichkeit über das plötzliche Ableben ihres Mannes Ludwig Andauer und seine Beerdigung auf dem neuen israelitischen Friedhof.
Piroska Andauer, die in Budapest Violine und Gesang studierte, wurde im September 1921 an die von Franz Schalk und Richard Strauss gemeinsam geleitete Wiener Staatsoper engagiert. Gleich zum Auftakt erhielt die junge Debütantin – sehr zur Verwunderung des Musikkritikers der Neuen Freien Presse – die Titelrolle in Georges Bizets Oper Carmen, die schon damals als Publikumsmagnet galt.
Eine Karriere war der als »Fräulein« titulierten Debütantin an der Staatsoper gewiss. Als Künstlerin nannte sie sich Rosette ANDAY (fiktives Geburtsjahr 1903).
Zehn Monate nach ihrem ersten Auftritt in Wien, am 15. August 1922, gab sie ihr Debüt bei den Salzburger Festspielen als »Dorabella« in Mozarts Così fan tutte (So machen es alle):
Als zweite reizende Mädchengestalt stand Frl. Anday (Dorabella) auf gleichfalls bewundernswerter künstlerischer Höhe, die sich ebenso sehr im bewußt geformtem koketten Spiel wie im Blühen der prächtig timbrierten Stimme Szene für Szene zeigte.
Salzburger Chronik, 17. 8. 1922, S. 4
Als im August 1922 eine Sängerin in Mozarts Le nozze di Figaro indisponiert war, konnte das Festspielpublikum erstmals Rosette ANDAY in der Hosenrolle »Cherubino« bewundern. In den Sommern 1925 und 1928 hatte sie wiederum Auftritte als »Cherubino« und »Dorabella« in Mozart-Opern, die zum Repertoire der Wiener Staatsoper seit dem Direktorat Gustav Mahlers gehören.
Augenscheinlich ist, dass die Wiener Staatsoper ihren Mozart – als Komponist und Freimaurer grenzüberschreitend, universell und kosmopolitisch – zum musikalischen Fixstern der Salzburger Festspiele machte.
1926 stand erstmals eine Wiener Operette unter der musikalischen Leitung von Bruno WALTER auf dem Salzburger Spielplan: Die Fledermaus von Johann Strauß. Rosette ANDAY spielte den »Prinzen Orlofsky«, allerdings von der Schlagersängerin Fritzi Massary, die als »Adele« auftrat, an Glamour weit übertroffen.
Berichtet wird, dass die Salzburger Fledermaus glänzende Einnahmen brachte, aber kein internationales Publikum anlocken konnte, bloß ein österreichisches und »Salzkammergut-Habitués« im Speziellen, womit vermutlich Wiener Sommerfrischler gemeint sind.
Festzuhalten ist ebenso, dass Bruno WALTER der einzige Dirigent in den Festspielsommern war, der Orchesterkonzerte mit Werken von Gustav Mahler gab: darunter sein Lied von der Erde erstmals am 19. August 1928 mit der Solistin Rosette ANDAY (Altstimme), am 23. August 1931 mit Sigrid Onégin (ebenfalls Alt) und am 15. August 1934 wieder mit Rosette ANDAY:
Prachtvoll Frau Anday in der Alt-Partie. Diese Frau fühlt mit, tiefe Trauer erfüllt ihre Seele. Gustav Mahler selbst scheint in ihr Abschied vom Leben zu nehmen. […] Otto Kunz.
Salzburger Volksblatt, 16. 8. 1934, S. 7
Im Festspielsommer 1933 erhielt Rosette ANDAY, als »Frau Kammersängerin« tituliert, ein Dankschreiben des Salzburger Landeshauptmannes Dr. Franz REHRL, allerdings ohne Hinweis auf die politischen Hintergründe seiner Dankesworte:
Es drängt mich, Ihnen, sehr verehrte Frau Kammersängerin, für den durch Ihren Entschluss den Salzburger Festspielen, dem Lande Salzburg und der österreichischen Kunst geleisteten Dienste auch im Namen des Landes Salzburg auf das herzlichste zu danken. […]
Neue Freie Presse, 8. 8. 1933, S. 6
1933 war ein politisch turbulentes Jahr. Die Festspielstadt Salzburg lag an der Grenze zum nationalsozialistischen Deutschland, das über Österreich die »Tausend-Mark-Sperre« verhängt hatte, um die Salzburger Festspiele – in den Vorjahren noch zu rund 50 Prozent von deutschen Gästen frequentiert – in den Ruin zu treiben. Gleiches bezweckten die Absagen von Künstlerinnen und Künstlern, darunter Sigrid Onégin, knapp vor der Eröffnung der Salzburger Festspiele 1933.
Anstelle der prominenten Sängerin Sigrid Onégin, die eine der begehrtesten Altstimmen besaß, jedoch im Jahr 1933 den Bayreuther Festspielen – »Hitlers Hoftheater« (laut Thomas Mann) – den Vorzug gab, sang Rosette ANDAY den »Orfeo« (männliche Figur) in Glucks Orfeo ed Euridice unter der musikalischen Leitung von Bruno WALTER und unter der Regie von Margarete WALLMANN, beide aus rassistischen Gründen aus Deutschland vertrieben.
Angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung erblickten Vertriebene im autoritär regierten Österreich »das kleinere Übel«.
Die jüdische Herkunft von Künstlerinnen und Künstlern, denen die Festspielstadt ihre internationale Strahlkraft verdankt, wird aber der Öffentlichkeit verschwiegen. Andernfalls wäre der Sängerin Rosette ANDAY als Jüdin für die Rettung der Festspiele zu danken gewesen. Hätte man ihr als Jüdin Dank erwiesen? In den Kritiken wird sie immerhin als Frau tituliert, der Respekt für ihre Tapferkeit gebührt:
Anstelle von Frau Onegin, die kurz vor der Aufführung abgesagt hatte, war Frau Anday – man darf hier das Wort heldenhaft gebrauchen – eingesprungen. Die Künstlerin kam direkt aus einem Sanatorium, wo sie vor abgezählten 21 Tagen eine Blinddarmoperation mit nachfolgender Rippenfellreizung mitgemacht hatte. Sie stand also unter ärztlichem Protest auf der Bühne, und mußte auch tatsächlich in einem Zwischenakt mittels einer Injektion gekräftigt werden.
Im Spiel ist Frau Anday lebendiger als ihre Vorgängerin. Sie ist weicher, gemütvoller, Klage und Jubel kommen wirklich aus dem Herzen. Auch gesanglich hielt sie sich mit aller Energie aufrecht. Die schöne Diktion und das volle, dunkelglühende Material kamen selbst in der schwierigen Situation zur Geltung. Als nach Schluss der Vorstellung Bruno Walter die Künstlerin allein vor den Vorhang treten ließ, umbrauste sie der dankerfüllte Jubel des Publikums. […] Otto Kunz.
Salzburger Volksblatt, 1. 8. 1933, S. 6
Politisch motivierte Absagen, Umbesetzungen und Programmänderungen gab es auch in den folgenden Festspielsommern, insbesondere als Clemens Krauss, Direktor der Wiener Staatsoper, und einige seiner Ensemblemitglieder gegen Jahresende 1934 und im Verlauf des Jahres 1935 in die Hauptstadt des Deutschen Reiches abwanderten.
Die erstmals im Festspielsommer 1934 von Clemens Krauss mit großem Erfolg geleitete Oper Elektra von Richard Strauss hätte somit 1935 bei ihrer Wiederaufnahme zum Teil neu besetzt werden müssen.
Im Februar 1935 hieß es noch, dass Erich KLEIBER, der als couragierter Generalmusikdirektor in Berlin zurückgetreten war, in Salzburg als Dirigent der Elektra vorgesehen sei. Im Mai 1935 fiel jedoch die Entscheidung, Elektra »über Auftrag des Kanzlers« (Kurt Schuschnigg) abzusagen – demnach ein Politikum.
Elektra von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal stand in der Wiener Inszenierung von Lothar WALLERSTEIN erst 1937 wieder auf dem Salzburger Spielplan: mit Rose PAULY als »Elektra« und Rosette ANDAY als »Klytämnestra« unter dem Dirigenten Hans Knappertsbusch, der im nationalsozialistischen Deutschland in Ungnade gefallen war.
Am Premierentag, dem 8. August 1937, war Frau ANDAY leider indisponiert. Sie spielte dennoch die Königin »Klytämnestra« und erhielt sogar gute Kritiken:
Nicht minder interessant und wertvoll Frau Anday in der schauspielerisch schwierigsten Rolle der Tragödie als Klytämnestra; eine körperliche Indisposition (war es ein heftiger Ohrenschmerz?) hinderte die um Salzburg so verdiente Künstlerin gestern unglücklicherweise an der Entfaltung ihrer fülligen, starken Stimmittel, was allgemein mit Bestürzung bemerkt wurde, dafür aber gelang das mimische und bewegungsmäßige Spiel in der Darstellung der von tödlicher Krankheit getroffenen Königin umso vollendeter. […]
Salzburger Volksblatt, 9. 8. 1937, S. 4f.
Es war ihr siebenter Festspielsommer, allerdings nicht ihr letzter, wie sich im Rückblick zeigt.
Gewiss ist ebenso, dass Rosette ANDAY als Jüdin, die zum christlichen Glauben konvertierte1, im März 1938 an der Wiener Staatsoper Auftrittsverbot erhielt, jedoch mit Hilfe ihres Ehemannes Dr. Karl Bündsdorf, eines »arischen« Wiener Rechtsanwaltes, die sieben Terrorjahre überstehen konnte – im nationalsozialistischen Wien und an nicht bekannten Orten. Die Memoiren schweigen. Das Ehepaar war jedenfalls von 1937 bis 1947 in Wien offiziell gemeldet: 4. Bezirk, Brahmsplatz 3/5.
Das im April 1945 von der Roten Armee befreite Wien hatte Rosette ANDAY nicht vergessen. Sogar ihr letzter Auftritt am 13. März 1938 an der Wiener Staatsoper blieb in Erinnerung, wie aus einem Bericht der Zeitung Neues Österreich vom 18. Mai 1945 hervorgeht. Das antifaschistische Blatt verlor jedoch kein Wort über die Ursache der Vertreibung aus der Staatsoper: Rassenantisemitismus.
Bei den Salzburger Festspielen 1946 und 1947 konnte sich Rosette ANDAY in kleinen Rollen behaupten: als »Annina« im Rosenkavalier und als »Adelaide« in Arabella von Richard Strauss, als »Simons Weib« in Gottfried von Einems Oper Dantons Tod, deren Welturaufführung am 6. August 1947 im Festspielhaus stattfand.
Rosette ANDAYs Auftritte fanden lobende Erwähnung:
Dass für die kleine Rolle seines Weibes [Simons Weib in Dantons Tod] die Meisterschaft einer Rosette Anday ins Treffen geführt wurde, beweist allein schon das hohe Niveau des Ensembles.
Salzburger Volkszeitung, 8. 8. 1947, S. 2
Rosette ANDAYs letzter Salzburger Auftritt war am 24. August 1947 als Solistin (Altstimme) in einem Domkonzert: Requiem, die letzte Komposition Mozarts vor seinem Tod.
Abschied von der Wiener Staatsoper, deren Ehrenmitglied Rosette ANDAY war, nahm sie 1961 als »Klytämnestra« in Elektra.
Sie starb 77-jährig am 18. September 1977 in Wien und erhielt auf dem Wiener Zentralfriedhof ein Ehrengrab.
Im öffentlichen Raum der Festspielstadt Salzburg existiert ihr Name nicht.
1 Erste Ehe der Rosette ANDAY mit Baron Egon Ernst von Ketschendorf: Trauung am 16. Februar 1932 in der Saint Thomas Church in New York, Scheidung im Mai 1933; zweite Ehe mit Dr. Karl Bündsdorf: Trauung am 10. Juni 1937 in der evangelisch reformierten Kirche in Wien.
Quellen
- Stadt- und Landesarchiv Wien
- Archiv der Salzburger Festspiele
- Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (Universität Hamburg)
- Forschungsdatenbank Bio Exil (Primavera Driessen Gruber u. a.)
- Ungarische Datenbank: Andauer, Piroska
Stolperstein
verlegt am 17.08.2020 in Salzburg, Max-Reinhardt-Platz