Rose PAULY, geboren als Rosa Pollak am 15. März 1895 in All-Ellgoth (Allodial Ellgoth), Österreich-Ungarn (jetzt Tschechische Republik)1, war ein Kind des jüdischen Ehepaares Antonie, geborene Slattner, und Alexander Pollak.
Die von Rose PAULY hinterlassenen biografischen Lücken über ihr jüdisches Elternhaus ließen sich bislang nicht zur Gänze schließen.
Verbürgt ist immerhin, dass Rose PAULY unter ihrem Geburtsnamen Rosa Pollak an der Wiener Musikakademie bei Rosa Papier Gesang studierte und erstmals am 2. März 1915 in der Sopranpartie »Sandmännchen« öffentlich auftrat, als Hofopernkapellmeister Franz Schalk im Akademietheater die Oper Hänsel und Gretel zur Aufführung brachte.
Am 28. Jänner 1917 gab der Dirigent Bernhard Paumgartner, Sohn der Gesangsprofessorin Rosa Papier, im Großen Musikvereinssaal ein Konzert mit dem Wiener Tonkünstlerorchester und der Solistin Rose PAULY, die nun unter ihrem Bühnennamen Opernarien sang.
Die 22-jährige Absolventin der Wiener Musikakademie wurde im Kriegsjahr 1917 an die Oper in Wiesbaden engagiert. In den frühen 1920er Jahren erhielt sie Engagements in Karlsruhe und Köln am Rhein.
Rose PAULY war Gastsängerin aus Köln, folglich kein Mitglied der Wiener Staatsoper, als sie im Festspielsommer 1922 unter der musikalischen Leitung des Staatsoperndirektors Richard Strauss an der ersten Opernaufführung in Salzburg mitwirkte.
Es war ein Gastspiel der Wiener Staatsoper samt Orchester, Dekorationen, Kostümen und Requisiten im Salzburger Stadttheater (heute Landestheater), da ein Festspielhaus noch nicht existierte. Auf dem Programm der legendären Opernfestspiele 1922 standen ausschließlich Werke von Mozart, der – als Komponist und Freimaurer grenzüberschreitend, universell und kosmopolitisch – nach und nach zum musikalischen Fixstern der Salzburger Festspiele aufstieg.
Gewiss ist, dass Richard Strauss mit Mozarts Don Giovanni (Don Juan) am 14. August 1922 den Auftakt zum Festspielsommer machte, allerdings nicht mit der Wiener Staatsopernsängerin Gertrud Kappel als »Donna Anna«, wie in den Annalen der Salzburger Festspiele festgehalten, sondern mit der 27-jährigen Rose PAULY, die für die Staatsopernsängerin eingesprungen war und die ihre noch unvertraute Sopranpartie »Donna Anna« in drei Tagen einstudiert hatte.
Über die Vorgänge in der Fremden- und Festspielstadt Salzburg erschien im Neuen Wiener Journal ein salopper Bericht der Wiener Musikkritikerin Elsa Bienenfeld:
… Ein Teil der Wiener Staatsoper ist nach Salzburg übersiedelt. Dort führen sie gegenwärtig vier Opern von Mozart auf. Fremde, Ausländer kommen in Scharen. Die Preise schnellen in die Höhe. Die Salzburger schimpfen. Ihre Vorstellungen vom Fremdenverkehr konzentrieren sich in dem Wunsch: von den Fremden leben und sie hinauswerfen.
Am Tage seiner Generalprobe fährt Richard Strauß beim Theater vor. Er kommt vom Land herein, in Autodress. Sofort sitzt er am Pult. Man gibt den ‚Don Juan‘. Im letzten Augenblick war eine Donna Anna requiriert worden. Frau Kämp [Barbara Kemp, Wiener Staatsoper] hätte kommen sollen; sie hatte abgesagt.
Frau Kappel [Gertrud Kappel, Wiener Staatsoper] war in der Eisenbahn ausgeplündert worden; ihr war die Lust vergangen, Theater zu spielen. Eine blutjunge Sängerin aus Köln, Fräulein Pauly, musste rasch vorbereitet werden. Sie sang dann ausgezeichnet.
Neues Wiener Journal, 17. 8. 1922, S. 8
Rose PAULY sang die Partie der »Donna Anna« am 14., 18. und 23. August 1922. Ohne die Gastsängerin aus Köln hätte es keinen festlichen Auftakt mit Mozarts Don Giovanni in Salzburg gegeben. Sie empfand ihr Auftreten unter dem Staatsoperndirektor Richard Strauss als »beklemmendes Wagnis«. Es glückte, da sie zu einem Wiener Gastspiel eingeladen wurde und Richard Strauss als ihr Mentor fungierte.
Rose PAULYS erstes Gastspiel an der Wiener Staatsoper vom 12. bis 27. Jänner 1923 erwies sich als enorme Herausforderung – sechs Hauptrollen, die es unter der musikalischen Leitung von vier Dirigenten innerhalb von vierzehn Tagen zu bewältigen galt:
• »Salome« in der gleichnamigen Oper unter der Leitung des Komponisten Richard Strauss am 12. Jänner,
• »Sieglinde« in Wagners Walküre unter Clemens Krauss am 14. Jänner,
• »Donna Anna« in Mozarts Don Giovanni unter Franz Schalk am 16. Jänner,
• »Rachel« in Jacques Fromental Halévys La Juive (Die Jüdin) unter Hugo Reichenberger am 18. Jänner,
• »Amelia« in Verdis Un ballo in maschera (Ein Maskenball) unter Hugo Reichenberger am 23. Jänner,
• »Kaiserin« in Die Frau ohne Schatten unter der Leitung des Komponisten Richard Strauss am 27. Jänner 1923.
Richard Strauss hatte darauf bestanden, dass Rose PAULY zum Abschluss ihres Wiener Gastspiels die »Kaiserin« singt, obschon ihr zum Einstudieren der Sopranpartie nur wenige Tage Zeit blieben – ein Wagnis von besonderer Art, da es die Paraderolle der Maria Jeritza war, die im Wiener Opernhaus als »Primadonna assoluta« galt.
Selbst wenn die Erfolge der Gastsängerin aus Köln nicht an jene der Wiener Primadonna heranreichten, dem recht anspruchsvollen Musikkritiker Max Graf gefiel Rose PAULY am besten als »Kaiserin«:
… Als Kaiserin ließ Frau Rose Pauly ihre Stimme erstrahlen; es war die beste Leistung, welche der Gast mit dem weichen, sinnlichen Sopran in Wien geboten hat.
Der Tag, 30. 1. 1923, S. 6
Richard Strauss, von 1919 bis 1924 »künstlerischer Oberleiter« der Wiener Staatsoper, hatte versucht, Rose PAULY an sein Opernhaus zu engagieren. Sie blieb aber noch einige Jahre an Köln gebunden, in beruflicher und privater Hinsicht. Sie war dort verheiratet, deutsche Staatsbürgerin und Mitglied der evangelischen Kirche. Nach ihrer Scheidung führte sie als Künstlerin weiterhin den Namen Rose PAULY-DREESEN.
Im Jahr 1929 gelang es, die mittlerweile an der Berliner Staatsoper wirkende Sängerin mit dramatischem Sopran an das Wiener Opernhaus zu verpflichten. Für Opernnovitäten zeigte sich Clemens Krauss als neuer Staatsoperndirektor aufgeschlossener als seine Vorgänger.
So geschah es, dass Rose PAULY auch Partien in modernen, von Lothar WALLERSTEIN inszenierten Opern sang: die »Marie« in Wozzeck von Alban Berg und die »Agave« in Die Bakchantinnen von Egon Wellesz.
Beachtenswert ist überdies, dass Rose PAULY eine Tochter hatte: Margit (Margaret), am 8. April 1931 in Wien geboren und offensichtlich backstage aufgewachsen.
Ihre Mutter stand jedenfalls Ende April 1931 wieder auf der Bühne. Seit März 1933 hieß Rose PAULY mit bürgerlichem Namen Haggag. Ihre Ehe mit dem Ägypter Dr. Hafis Haggag, einem in Berlin tätigen Arzt, war aber nicht von Dauer.
Die Oper Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss (Libretto von Hugo von Hofmannsthal) stand am 1. Juni 1933 erneut auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper, allerdings in geänderter Besetzung: Rose PAULY als »Färberin« anstelle von Lotte LEHMANN, die diese Rolle auch im Festspielsommer 1932 besetzt hatte.
Die Neubesetzung mit Rose PAULY war dem Wiener Musikkritiker Max Graf eine Beurteilung wert, ohne dabei das unschöne Wort »Ersatz« zu benutzen:
… Die Färberin wurde jetzt zum erstenmal von Frau Pauly gesungen. Sie ist in dieser Rolle ausgezeichnet, eine realistische Darstellerin mit Temperament und sinnlicher Stimme, die dem Finale des zweiten Aktes starke Akzente gibt. […] mg.
Der Wiener Tag, 3. 6. 1933, S. 8
Wenig überraschend war es daher, dass Rose PAULY anstelle von Lotte LEHMANN im Festspielsommer 1933 die Partie der »Färberin« sang: in der einmaligen Aufführung der Oper Die Frau ohne Schatten am 22. August in Gegenwart des Komponisten Richard Strauss.
Lotte LEHMANNS fulminanter Auftritt im Festspielsommer 1932 blieb jedoch in bester Erinnerung, weshalb die in Salzburg noch unbekannte Rose PAULY im August 1933 kein leichtes Spiel hatte und vom lokalen Musikkritiker mit dem Signum »F. K.« (Franz Krotsch) nicht einmal der Wiener Staatsoper zugeordnet werden konnte:
… Die Aufführung dieses Jahres gleicht jener herrlichen Erstaufführung fast in allen Einzelheiten und bringt nur eine, allerdings recht wesentliche Veränderung, die darin besteht, daß das Weib des Färbers nicht mehr von Lotte Lehmann, sondern von Rose Pauly (Dresden) dargestellt wird. Aber das mindert den festlichen Eindruck erfreulicherweise in keiner Hinsicht, denn auch Rose Pauly ist den gewaltigen Anforderungen der großen Partie vollkommen gewachsen.
Ihre Stimme klingt rein und voll, wenn auch vielleicht nicht so heroisch wie der prächtige Sopran Lotte Lehmanns, ihre Auffassung verrät bei aller Verhaltenheit im Ausdruck tiefes, leidenschaftliches Empfinden, von ihrer schönen Bühnenerscheinung geht ein eigentümlicher Reiz aus. Wenn man angesichts ihrer außerordentlichen Leistung überhaupt noch von Ersatz sprechen kann, so muß man wenigstens mit allem Nachdruck hervorheben, daß dieser Ersatz durchaus vollwertig zu nennen ist. […] F. K.
Salzburger Volksblatt, 23. 8. 1933, S. 5f.
Trotz der »Tausend-Mark-Sperre«, die das nationalsozialistische Deutschland über Österreich unter seinem autoritär regierenden Kanzler Engelbert Dollfuß verhängt hatte, konnten im Festspielsommer 1933 zehn Opern, davon drei von Richard Strauss, programmgemäß aufgeführt werden – überdies in deutlicher Abgrenzung zur rassistischen Kulturpolitik in Deutschland.
Weitgehend unbekannt ist jedoch, dass sich Richard Strauss als Präsident der Reichsmusikkammer in Berlin für die »nicht-arische« Sängerin Rose PAULY stark machte. Verbürgt ist, dass sie zum letzten Mal am 14. Februar 1934 als »Elektra« an der Berliner Staatsoper auftreten durfte – sehr zum Missfallen des Propagandaministers Joseph Goebbels.
Elektra zählt zu den meistgespielten »Frauen-Opern« von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. An der Wiener Staatsoper konnte Elektra unter dem Dirigenten Clemens Krauss neu einstudiert werden: am 3. März 1932 erstmals mit Rose PAULY in der Titelrolle. Selbst der Komponist Joseph Marx fand als Kritiker bewundernde Worte für die Sängerin:
… Frau Pauly in der Titelrolle fiel darstellerisch die Hauptaufgabe zu, die eine der schwersten, aber auch dankbarsten der modernen Opernliteratur ist. Nur wenige dürften ernstlich darüber nachgedacht haben, was es heißt, fast zwei Stunden hindurch ohne Pause auf der Bühne zu stehen, ohne Abgang (!), immer anders zu sein und zu werden, um nicht in der dramatischen Wirkung zu verflachen, stets auf dem Sprung nach schwierigsten Einsätzen, bedroht von den tausend Zufällen, die passieren können – und es passieren immer noch andere!
Frau Pauly hat die Belastungsprobe mit großer Begabung durchgehalten; ihre Elektra ist darstellerisch von naturhafter Wirkung, gesanglich imponierend durch die Sicherheit ihrer Musikalität. […]
Neues Wiener Journal, 5. 3. 1932, S. 11
Zwei Jahre nach der Wiener Neuinszenierung stand Elektra erstmals auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele. Aus Anlass des 70. Geburtstages von Richard Strauss war ein Opern-Zyklus geplant. Der Jubilar sollte außerdem am 28. Juli 1934 die Festspiele mit Beethovens Fidelio eröffnen.
Es kam anders als geplant, da Österreichs Kanzler Engelbert Dollfuß beim nationalsozialistischen Juliputsch ermordet wurde und das Begräbnis am 28. Juli 1934 in Wien stattfand. Am Tag darauf konnten jedoch die Salzburger Festspiele eröffnet werden: mit Fidelio unter dem Dirigenten Clemens Krauss und eingeleitet mit dem Trauermarsch aus Beethovens Eroica.
Der Jubilar Richard Strauss war privat – nicht als Dirigent und Präsident der Reichsmusikkammer – am 17. August 1934 bei der einmaligen Aufführung seiner Elektra anwesend, wie erwartet mit seiner Lieblingssängerin Rose PAULY in der Titelrolle:
… Eine wahrhaft dämonische, in jeder Ekstase glaubhafte Elektra vermochte Frau Rose Pauly zu bieten. Höhepunkte ihrer Darstellung: der Zweikampf mit Klytämnestra, das Werben um Chrysothemis, das Erkennen Orests; ein an Erschöpfung grenzender Zustand jener Augenblick, in dem sich ihre Rache erfüllt. Gesanglich: eine fanatische Notentreue, eine Klarheit der Aussprache, die wohl ihresgleichen sucht.
Der beispiellose Sonderapplaus, den die Künstlerin – sichtlich am Rande ihrer Kraft – entgegennehmen durfte, soll auch hier bewundernd festgehalten sein. […] R. A.
Salzburger Volksblatt, 18. 8. 1934, S. 7f.
Im Festspielsommer 1934 wurden immerhin drei »Frauen-Opern« von Richard Strauss aufgeführt, um eine weniger als geplant: Die Frau ohne Schatten mit Rose PAULY als »Färberin« musste abgesagt werden.
Im Sommer 1935 gab es nur mehr eine Strauss-Oper: Der Rosenkavalier unter dem Dirigenten Josef Krips anstelle von Clemens Krauss, den es in die Reichshauptstadt Berlin gezogen hatte. Im Sommer 1936 stand auch die meistgespielte Repertoire-Oper nicht mehr auf dem Spielplan. Es scheint, dass Richard Strauss in der Festspielstadt als Persona non grata galt.
In den politisch bewegten Jahren pendelte Rose PAULY zwischen Wien und Prag (Praha). Wer eine Opernnovität mit Rose PAULY zu sehen wünschte, musste das Neue Deutsche Theater in Prag aufsuchen. Im Dezember 1934 war dort die Premiere der Oper Der Kreidekreis von Alexander Zemlinsky mit Rose PAULY als »Yü-Pei«.
Im Februar 1935 hieß es noch, dass Erich KLEIBER im Festspielsommer als Dirigent der Elektra vorgesehen sei. Die Strauss-Oper wurde jedoch im Mai 1935 vom Spielplan abgesetzt.
Sie konnte erst im September 1936 an der Wiener Staatsoper unter ihrem Oberspielleiter Lothar WALLERSTEIN und dem in Deutschland in Ungnade gefallenen Dirigenten Hans Knappertsbusch neu einstudiert werden – wieder mit Rose PAULY als »Elektra« und erstmals mit Rosette ANDAY als Klytämnestra:
… Rose Pauly, die beste Elektra-Darstellerin Europas, ist in die teure Halle [Wiener Staatsoper], in der wir sie lange so ungern vermissten, zurückgekehrt, stimmlich und darstellerisch packender denn je. […]
Die Klytämnestra sang zum ersten Male Frau Anday, edel selbst in ihren abwegigsten Ausbrüchen.
Gerechtigkeit, 8. 10. 1936, S. 12
Die als beste »Elektra«-Darstellerin gefeierte Rose PAULY ging im März 1937 auf Tournee und sang die »Elektra« in einer konzertanten Aufführung der New Yorker Philharmoniker unter Artur Rodzinski in der Carnegie Hall.
Die im April 1937 verbreitete Nachricht, dass Rose PAULY im Sommer wieder in New York singen werde und ihre Mitwirkung an den Salzburger Festspielen abgesagt habe, erwies sich als falsch.
Premiere der Oper Elektra war am 8. August 1937 im Festspielhaus:
… Eine Aufführung deren Großartigkeit jener von 1934 in nichts nachstand, die im Gegenteil wert wäre, dem Repertoire von Salzburg dauernd erhalten zu bleiben. […]
Dies kann mit sicherem Erfolg geschehen, solange Künstler wie Rose Pauly für die Sache gewonnen werden können. Es gibt allerdings, wie erst vor nicht langer Zeit von sehr autoritativer Stelle erklärt worden ist, heute kaum noch eine zweite, ihr ebenbürtige Darstellerin für diese wahnwitzig schwere, die Kräfte der Sängerin bis zur vollen Erschöpfung ausnützende Titelpartie.
Man muß diese Frau nach Schluß der knapp zweistündigen Aufführung gesehen haben, um zu begreifen, welches Übermaß von Leistung hier verlangt und gegeben wird. […] A.
Salzburger Volksblatt, 9. 8. 1937, S. 4f.
Elektra wurde ein weiteres Mal am 22. August im Festspielhaus aufgeführt, wiederum mit Rose PAULY als »Elektra«, Rosette ANDAY als »Klytämnestra«, Margit BOKOR als »Aufseherin« und Bella PAALEN als »Erste Magd«.
Es folgten drei Aufführungen der Elektra an der Wiener Staatsoper, die letzte am 4. Dezember 1937:
… Rose Pauly als Elektra hatte wieder einen Glanzabend; ihr sinnliches Organ, das nun frei von aller Sprödigkeit ist, gehört zu den wertvollsten Frauenstimmen der Gegenwart. […]
Gerechtigkeit, 10. 12. 1937, S. 11
Als sich Rose PAULY-HAGGAG, geborene Pollak, in Wien ordnungsgemäß nach Prag abmeldete, war ihre Ehe mit dem Arzt Dr. Hafis Haggag bereits geschieden. Ihr Lebenspartner Dr. Josef Fleischner, ebenfalls Arzt, war Jude und ihre gemeinsame Adresse lautete Praha 1, Washingtonova 9, nahe dem Neuen Deutschen Theater (heute Státni Opera Praha).
Ende Dezember 1937 reiste Rose PAULY nach New York, um an fünf Aufführungen der Oper Elektra an der Metropolitan Opera (Met) mit ihrem deutschsprachigen Repertoire unter ihrem Chefdirigenten Artur Bodanzky mitzuwirken.
Am 7. Jänner 1938 gab Rose PAULY an der Met ihr Debüt als »Elektra«. Am 5. März 1938 sang sie ihre Leibpartie erstmals unter Erich LEINSDORF, der zum zweiten Dirigenten des deutschsprachigen Repertoires an der Met avancierte. Für die Inszenierung der Elektra sorgte Herbert GRAF, ebenfalls Jude aus Österreich.
Im fernen Wien konnte man wenige Tage vor dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich lesen:
Elektra – größter Metropolitan-Erfolg seit 25 Jahren.
Neues Wiener Tagblatt, 1. 3. 1938, S. 24
Im Frühjahr 1938 gastierte Rose PAULY wieder in Europa, allerdings nicht in Österreich unter deutscher Herrschaft, sondern in London als »Elektra« an der Covent Garden Opera und im faschistischen Italien als »Färberin« (La moglie) in Die Frau ohne Schatten (La donna senz’ombra) am Teatro dell’opera di Roma.
Ende August 1938 verließ Rose PAULY für immer Europa, aber nicht allein, sondern mit ihrer siebenjährigen Tochter Margit: Ankunft der beiden auf dem italienischen Atlantikliner Rex am 8. September 1938 in New York.
Am 6. Dezember dieses Jahres unterzeichnete Rose PAULY in New York ihre Declaration of Intention, Erklärung zur Erlangung der US-Staatsbürgerschaft. Darin sind folgende Daten festgehalten: »Rosa Haggag also known as Rosa Pauly«, geboren am 15. März 1895 in Ellgoth, Tschechoslowakei, Jüdin, geschieden, ein Kind, aktuelle Adresse: 118 East 40th St, New York.
Rose PAULY und ihr Partner Dr. med. Josef Fleischner heirateten nach seiner Ankunft im Februar 1939 in New York.
In den Jahren 1939/40 hatte Rose PAULY an der Metropolitan Opera noch fünf Auftritte: drei als »Elektra« und je einen als »Venus« in Tannhäuser und als »Ortrud« in Lohengrin unter Erich LEINSDORF.
Von August bis Oktober 1939 gastierte Rose PAULY erstmals am Teatro Colón in Buenos Aires: vier Auftritte als »Elektra« und fünf als »Mariscala« (Feldmarschallin) im Rosenkavalier unter der musikalischen Leitung von Erich KLEIBER.
Rose PAULY war 1942 ein weiteres Mal und 1943 zum letzten Mal in den Monaten August bis Oktober Gastsängerin am Teatro Colón: 1943 sang sie viermal die »Gutrune« in Wagners Götterdämmerung unter dem Dirigenten Roberto Kinsky und dreimal die »Elektra« unter Erich KLEIBER. Somit war »Elektra« am 1. Oktober 1943 ihre letzte Bühnenpartie.
Erzählt wird allerdings, dass Rose PAULY ihre Bühnenlaufbahn infolge eines schweren Sturzes schon 1942 beendet hätte.
Nicht zu bezweifeln ist, dass Rose PAULY, ihre Tochter Margit und ihr Ehemann Josef Fleischner um 1946 nach Palästina (damals noch britisches Mandatsgebiet) emigrierten. Rose PAULY war dort als Gesangspädagogin tätig.
Am 14. Dezember 1975 stirbt Rose PAULY 80-jährig in Kfar Shmaryahu bei Tel Aviv, Israel.
Im öffentlichen Raum ihrer einstigen österreichischen Wirkungsorte existiert ihr Name nicht.
1 Laut Wiener Melderegister und US-Declaration of Intention: Rosa Pollak, geboren am 15. März 1895 in All-Ellgoth, damals Österreich-Ungarn (jetzt Zpupná Lhota in Tschechien); nach anderer Version: geboren am 14. oder 15. März 1894 in Eperjes (Presov), Ungarn (Slowakei).
Quellen
- Stadt- und Landesarchiv Wien
- Archiv der Salzburger Festspiele
- Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit (Universität Hamburg)
- ANNO: Austrian Newspapers Online
Stolperstein
verlegt am 17.08.2020 in Salzburg, Max-Reinhardt-Platz