Friedrich Josef TANNENBERGER, geboren am 10. Februar 1897 in Wien, römisch-katholisch getauft, war der jüngere von zwei Söhnen des Ehepaares Georgine, geborene Bannholzer, und Emanuel TANNENBERGER, Notar in Wien, 4. Bezirk, Heumühlgasse 6.
Dort hatte auch ihr jüngerer und zeitlebens lediger Sohn Friedrich Josef seinen Wohnsitz. Er war Maturant, k. u. k. Leutnant mit Kriegsauszeichnungen im Ersten Weltkrieg und studierte danach Schauspiel und Gesang.
Fritz TANNENBERGER – unter diesem Namen ist er im Deutschen Bühnenjahrbuch zu finden – gastierte in der Spielzeit 1934/35 als Baron Kolomán Zsupán in Emmerich Kálmáns Operette Gräfin Mariza am Stadttheater Salzburg (unter dem NS-Regime in Salzburger Landestheater umbenannt).
Er hatte Engagements an österreichischen und ausländischen Bühnen, nach 1933 auch in Deutschland, demnach unter der NS-Herrschaft. Er war auch Mitglied der Fachschaft Bühne in der Reichstheaterkammer mit Zwangsmitgliedschaft – »arische Abstammung« als Voraussetzung.
In dieser Hinsicht hatte der Wiener Fritz TANNENBERGER anfänglich keine Probleme unter dem NS-Regime – bis zu seinem Engagement als Schauspieler und Sänger am Salzburger Landestheater.
Er war seit 12. Dezember 1939 in der »Gauhauptstadt« Salzburg gemeldet, logierte zunächst im Hotel Bristol am Makartplatz, schließlich im Hotel Mödlhammer, Getreidegasse 26.
Fritz TANNENBERGER debütierte am Salzburger Landestheater in der Spielzeit 1939/40 als August Fliederbusch in Carl Michael Ziehrers Operette Die Landstreicher (Inszenierung Paul Olmühl) und zählte zum Opern- und Operettenensemble, das der Intendant Dr. Herbert Furreg für die Spielzeit 1940/41 größtenteils neu aufstellte, wie im Salzburger Volksblatt vom 6. September 1940 berichtet.
TANNENBERGER spielte beispielsweise den Kammerdiener Josef in der Operette Wiener Blut von Johann Strauß Sohn (Inszenierung Paul Olmühl) und den Junker Spärlich in der Oper Die lustigen Weiber von Windsor von Otto Nicolai (Inszenierung Anna Bahr-Mildenburg) – in den Programmheften und auf den Theaterzetteln fehlen allerdings die Librettisten Victor Léon & Leo Stein respektive Salomon Hermann Mosenthal.
Aus Bühnenjahrbüchern, Programmheften und Presseberichten geht des Weiteren hervor, dass Fritz TANNENBERGER auch in den folgenden Spielzeiten unter den Intendanten Dr. Erwin Kerber und Peter Stanchina Mitglied des Landestheaters war und vornehmlich als Sänger auftrat: beispielsweise als Ottokar, Sohn der Erzieherin Mirabella, in der Strauß-Operette Der Zigeunerbaron (Inszenierung Max Brückner), als Egon von Wildenhagen in der Operette Der Vetter aus Dingsda von Eduard Künneke (Inszenierung Max Brückner) und als Knöpfel in Nestroys Posse Das Mädel aus der Vorstadt (Inszenierung der Komödienspieler), Premiere am 26. Jänner 1944.
Im März 1940 stellte die Zweigstelle Wien der »Reichsstelle für Sippenforschung« fest, dass Friedrich Josef TANNENBERGER jüdische Vorfahren habe (seine Urgroßmutter mütterlicherseits sei Jüdin gewesen). Im Mai 1941 beurteilte außerdem die Gauleitung der NSDAP in Salzburg die politische Gesinnung des Schauspielers aus Wien, der als »Judenstämmling« und schon deshalb als politisch unzuverlässig galt.
Dabei äußerte der beurteilende Gaupersonalamtsleiter einen bösen Verdacht mit einer Formulierung, die auf Verleumdung schließen lässt:
Es fehlen zwar die Beweise, aber man spricht von einer […]
– eine zusätzliche Stigmatisierung des Schauspielers mit jüdischer Urgroßmutter, summa summarum: eine verdächtige, missliebige und angefeindete Person.
Fritz TANNENBERGER blieb dennoch Mitglied des Landestheaters. Im Jänner 1942 wurde ihm sogar von der Reichskanzlei in Berlin, vom »Führer« also, bescheinigt, dass er »deutschblütigen Personen« gleichgestellt sei.
Außerdem war er noch immer Mitglied der Fachschaft Bühne in der Reichstheaterkammer (Deutsches Bühnenjahrbuch 1942).
Jemand musste Fritz TANNENBERGER verleumdet und denunziert haben.
Denn er geriet in die Fänge der Salzburger Gestapo. Aus einer erhaltenen Karteikarte der Staatsanwaltschaft geht hervor, dass der Schauspieler im Kriegsjahr 1943 wegen »Heimtücke« angezeigt wurde, und zwar nach dem »Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei« aus dem Jahr 1934, mit dem jede kritische Äußerung kriminalisiert werden konnte.
Eine strafrechtliche Verfolgung TANNENBERGERS durch das »Sondergericht« ist jedoch nicht nachzuweisen. Die Anschuldigungen waren vermutlich zu dürftig oder gar haltlos.
Unter dem NS-Regime blieb der stigmatisierte Schauspieler eine verdächtige Person, andernfalls wäre er nicht – vermutlich nach dem Attentat auf den »Führer« im Juli 1944 – von der Gestapo verhaftet worden, ohne richterlichen Haftbefehl, unter Missachtung aller Verfahrensrechte.
TANNENBERGER ist eines unter jenen unzählbaren Opfern, die mangels Polizei-, Justiz- und Opferfürsorgeakten bislang unbekannt blieben, zum kleineren Teil erst nach sieben Jahrzehnten anhand der Polizeimeldekartei und dank eines Zeitzeugen identifiziert werden können.
Der Zeitzeuge Claude Testard, Jahrgang 1926, ein Franzose aus Paris, damals 18-jährig, arbeitete seit 23. Mai 1944 als Hausdiener in Salzburg, zunächst im Hotel Hirschen, seit 4. Oktober 1944 im Gasthof Sternbräu, wie in der Polizeimeldekartei dokumentiert.
Aus seinem Lebensbericht geht hervor, dass er in der fraglichen Zeit, als die Gestapo nach dem Attentat auf Hitler verdächtige und missliebige Personen verhaftete, im Polizeigefängnis am Rudolfsplatz, Georg von Schönerer-Platz unter dem NS-Regime, inhaftiert war.
Seine Haft ist allerdings, wie auch bei den von ihm genannten Personen, sofern zu identifizieren, in der Polizeimeldekartei nicht vermerkt. Doch der im Rückblick geschriebene und mit Namensfehlern behaftete Bericht des Franzosen Claude Testard ist durchaus glaubwürdig:
[…] Bis dahin hatten wir keine Deutschen in unserer Zelle. Entweder waren die woanders, oder unter ihnen gab es keine »Straftäter«.
Einige Wochen zuvor, am 20. Juli 1944 war das Attentat von Stabschef Oberst [Claus Schenk Graf von] Stauffenberg auf Hitler gescheitert. Nach diesem Anschlag hatte sich die Repressionsmaschinerie der Nazi mit bisher ungekanntem Eifer in Bewegung gesetzt. Verhaftungen erfolgten schon auf Denunziationen, oft auch zur persönlichen Abrechnung mit Gegnern. Die Gefängnisse füllten sich.
Wir erlebten, wie auf einmal ein ganzer Schwung Deutscher und Österreicher zu uns kam, denen Widerstand gegen das Regime oder ganz einfach nur »defätistische Äusserungen« der Art »der Krieg ist verloren, mit uns ist es aus!« vorgeworfen wurden. Meist waren sie von Freunden, Familienmitgliedern oder von Spitzeln im Dienste der Gestapo denunziert worden.Welch prächtiges Völkchen! Was die Deutschen gern als Prominente bezeichnen, also bekannte Gestalten aus Politik, Kultur und Kunst. Allein in unserer Zelle beherbergten wir
• einen ehemaligen Bürgermeister von Salzburg [Richard Hildmann, Haft am 20. und 21. Juli 1944]
• einen Redakteur der Lokalzeitung [bislang nicht identifiziert]
• den amtierenden Bürgermeister von Bischofshofen, Mooshammer [Franz Moßhammer, sozialdemokratischer Bürgermeister bis Februar 1934]
• den ehemaligen Bürgermeister von Bad Gastein [Josef Mühlberger bis 1934 oder Fritz Obrutschka Bürgermeister bis 1938]
• Herrn Dr. Hohestein [Dr. Otto Haustein], Lehrer am städtischen Gymnasium, dessen Freundschaft ich gewann
• den Schauspieler Fritz Tannenberger, den ich jüngst in einem Film gesehen hatte, und der sehr geschmeichelt war, von so vielen von uns erkannt zu werden
• den Besitzer des größten Konfektionshauses der Stadt, Herrn Mühlberger [vermutlich ein Irrtum]
• einen jungen Pfarrer namens Schitter [Kooperator Josef Schitter, KZ Dachau vom 21. 10. 1944 bis 10. 4. 1945] aus Mariapfarr. Er war wegen seiner Ansichten von seinem besten Jugendfreund denunziert worden! Auch seiner Sympathie erfreute ich mich, und er teilte mit mir einiges von dem, was ihm sein Gemeindepfarrer schickte, um die magere Versorgung aufzubessern: Weissbrot und ein Stück Speck, das er in hauchdünne Scheiben schnitt
• den Direktor des Landesbank, Herrn Dr. Prettner [bislang nicht identifiziert, vermutlich Rechtsanwalt Stojan Marian Pretnar] und noch ein paar andere mehr. Jetzt waren wir wirklich voll belegt, denn wir waren nun 30 bis 35 Gefangene. […]
Es zeigt sich, dass sich zum nationalsozialistischen Terror vom 20. Juli 1944 bis zur Befreiung Salzburgs am 4. Mai 1945 Forschungslücken auftun, die mangels Polizei-, Justiz- und Opferfürsorgeakten schwer zu schließen sind.
Glaubhaft ist aber, dass der als Sänger am Landestheater engagierte Fritz TANNENBERGER seit Juli 1944 im Polizeigefängnis Salzburg inhaftiert war und 47-jährig am 25. Oktober 1944 an den Folgen der Gestapohaft zu Tode kam – offiziell an Diphterie im Landeskrankenhaus, nicht unwahrscheinlich angesichts der Haftbedingungen im Polizeigefängnis.
Fritz TANNENBERGER wurde auf dem Salzburger Kommunalfriedhof, Gruppe 009, Reihe 03/3/018, bestattet. Das Grab wurde mittlerweile aufgelassen.
Bekannt ist außerdem, dass sein Vater 75-jährig im November 1939 und seine Mutter 81-jährig im Februar 1953 in Wien starben, beide bestattet auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Quellen
- Claude Testard, Ein Jahr in Salzburg 1944 bis 1945, 2001 (unveröffentlichtes Manuskript im Stadtarchiv Salzburg)
- Stadt- und Landesarchiv Salzburg und Wien
Recherche: Thomas Weidenholzer
Oskar Dohle
Karl Müller
Stolperstein
verlegt am 18.04.2013 in Salzburg, Makartplatz 2