Johann SEVIGNANI, am 5. Dezember 1921 in Ellmau bei St. Johann in Tirol geboren und katholisch getauft, war das älteste von fünf Kindern des Ehepaares Rosa, geborene Walcher, und Johann Sevignani, der Maurer und Bauer von Beruf war.
Die Familie lebte in Going am Wilden Kaiser. Im Jahr 1932 starb die Mutter der fünf jungen Kinder. Ihr älterer Sohn Johann war Landarbeiter, Melker und anderes mehr. Politisch war er jedoch nie aktiv.
Verbürgt ist außerdem, dass Johann SEVIGNANI in den Kriegsjahren 1941 bis 1944 – dreieinhalb Jahre seines jungen Lebens – in der deutschen Wehrmacht zu dienen hatte, zuletzt als Obergefreiter im Grenadier-Regiment 673, das im August 1944 an der Südostfront »zersprengt und aufgerieben« wurde.
In einem Dossier des Geheimdienstes der deutschen Wehrmacht, datiert mit 24. Oktober 1944, ist über das Grenadier-Regiment 673 und Johann SEVIGNANI zu lesen:
Nach Auskunft des Abwehroffiziers Hptm. Bliem ist das Gren. Rgt. [Grenadier-Regiment] 673 am Pruth gelegen und wurde anlässlich der Kapitulation Rumäniens vollkommen zersprengt und aufgerieben. Kleinere Truppen und Einzelgänger haben sich durchgeschlagen.
Sevignani dürfte sich einzeln durchgeschlagen haben und entweder auf dem Wege nach Sommerein [bei Bruck an der Leitha] oder was wahrscheinlicher ist, nach seinem Heimatort gewesen sein.
Der »Abwehroffizier« wusste, dass die deutsche Wehrmacht ihren Kampf gegen die Sowjetarmee an der Südostfront verloren hatte und dass die im ungarisch-rumänischen Grenzraum versprengten Wehrmachtssoldaten die Flucht ergriffen hatten, um nicht in sowjetische Gefangenschaft zu geraten.
Johann SEVIGNANI, einer der versprengten Wehrmachtssoldaten mit gelöschten Feldpost-Nummern, versuchte im Alleingang, sich nach Going am Wilden Kaiser durchzuschlagen.
Als er am 25. September 1944 in Brașov (deutsch Kronstadt) aufbrach, um der drohenden Gefangennahme zu entgehen, konnte er nicht wissen, dass der Krieg noch acht Monate dauerte und dass im Hinterland sogenannte Kriegsgerichte Todesurteile wegen »Fahnenflucht« fällten.
Das sollte SEVIGNANI zum Verhängnis werden.
SEVIGNANI gelangte am 22. Oktober 1944 nach Österreich. In Bromberg, nahe bei Wiener Neustadt, wurde er von einem aus dem Wirtshaus kommenden Gendarmen angehalten, der sich anschickte, die Identität des einzelnen Soldaten anhand seines Soldbuches festzustellen.
Eine angespannte Situation, ein Gerangel: Aus dem Gewehr des SEVIGNANI löste sich ein Schuss, der den Gendarmen tödlich verletzte.
Ein fatales Geschehen, das SEVIGNANI in Panik versetzte, sodass er sein Soldbuch mit Identitätsnachweis zurückließ. Er flüchtete über den Semmering in Richtung Heimat, wurde aber am 11. November 1944 von einer Fahndungsstreife in Radstadt verhaftet und an die Kriegsjustiz ausgeliefert.
Johann SEVIGNANI, 23 Jahre jung, dreieinhalb Jahre im Kriegseinsatz, war weder ein Held noch ein Kriegsdienstverweigerer der ersten Stunde. Er wollte den Krieg überleben, was ihm missglückte.
Er befand sich in der Haftanstalt des Landesgerichtes Salzburg und wurde vor ein Kriegsgericht der Division 418 gestellt.
»Oberstabsrichter« Dr. Peyrer-Heimstätt1 fungierte als Ankläger, »Oberstabsrichter« Dr. Voggenberger2 als Richter. Beide waren österreichische Juristen, Blutrichter unter dem nationalsozialistischen Regime in Salzburg.
Am 25. Jänner 1945, somit in der Endphase des Vernichtungskrieges, verhängte in Salzburg das Kriegsgericht der Division 418 »im Namen des Deutschen Volkes« gegen Johann SEVIGNANI die Todesstrafe wegen »Fahnenflucht und Mordes«.
SEVIGNANI wurde wegen »Fahnenflucht« – Flucht von der Regimentsfahne – verurteilt. Sein Regiment, »vollkommen zersprengt und aufgerieben«, existierte jedoch seit August 1944 nicht mehr.
Des Weiteren wurde SEVIGNANI wegen »Mordes« verurteilt. Dafür benutzte das Salzburger Kriegsgericht nicht das österreichische Strafgesetz, sondern den im Kriegsjahr 1941 von nationalsozialistischen Juristen, darunter Roland Freisler, ersonnenen Mordparagrafen 211 (Abs. 2 StGB):
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
Das Kriegsgericht war demnach der Meinung, dass der bisher unbescholtene Johann SEVIGNANI am 22. Oktober 1944 den Gendarmen Josef Bachmayer in Bromberg »aus Mordlust« vorsätzlich getötet habe.
SEVIGNANIS Rechtsvertreter Dr. Gustav Aigner äußerte seine Bedenken gegen die Todesstrafe wegen vorsätzlichen Mordes:
Nun wurde er [Sevignani] tatsächlich im Burgenland vom Gendarmeriemeister Bachmayer angehalten und ihm die Papiere abgenommen.
Sevignani flüchtete aber, wird vom Gendarmen zum Halten aufgefordert, will sich tatsächlich ergeben, reisst das Gewehr herunter, um es von sich zu werfen und im selben Moment geht ein Schuss los, der, ohne dass es Sevignani bemerkt, den Gendarmen trifft.
Man kann es begreiflich finden, dass Sevignani im Schreck darüber abermals flüchtet, um dann erst nach längerer aufgegriffen zu werden.
Das Kriegsgericht beharrte auf seinem Urteil: Mord nach § 211 (1941). Das war Justizwillkür.
Außerdem hatte der Ortsgruppenleiter der NSDAP und Bürgermeister von Going am Wilden Kaiser seinem jungen Gemeindebürger Johann SEVIGNANI ein schlechtes Leumundszeugnis bescheinigt.
Die »Gnadenbitte« SEVIGNANIS, verfasst von seinem Rechtsvertreter, wurde von Heinrich Himmler als Oberbefehlshaber des Ersatzheeres abgelehnt:
Ich bestätige das Urteil. Einen Gnadenerweis lehne ich ab. Das Urteil ist zu vollstrecken. Feldkommandostelle, den 23. Feb. 1945
Der Reichsführer SS und Oberbefehlshaber des Ersatzheeres: gez. H. Himmler
Am 12. März 1945 befahl Generalleutnant Otto Schönherr3 als Gerichtsherr »die sofortige Vollstreckung des Urteils«:
Hierzu befehle ich:
1.) Beistellung eines Offiziers und 10 Mann als Vollstreckungskommando
2.) eine Abordnung in Mindestzugstärke von schlecht beurteilten oder gerichtlich vorbestraften Soldaten aller Kompanien des Bataillons zu gestellen, die aus Erziehungs- und Abschreckungsgründen bei der Vollstreckung anwesend zu sein hat.
3.) 2 Mann zu bestimmen, welche die Abholung des Verurteilten und Überführung desselben aus der Haftanstalt zur Richtstätte durchzuführen haben. Äußerste Fluchtgefahr.
4.) Das Veranlasste zu 1) bis 3) ist dem Gericht der Division Nr. 418 Salzburg bis 13. 3. 1945 10 Uhr vormittags mitzuteilen.
Johann SEVIGNANI war 23 Jahre jung, als er am 13. März 1945 um 16 Uhr 37 auf dem Militärschießplatz in Glanegg bei Salzburg von einem zehn Mann starken »Vollstreckungskommando« erschossen wurde – »Kommando Feuer«, lapidar protokolliert vom »Oberstabsrichter« Dr. Voggenberger, Blutrichter und Leiter der Vollstreckung.
Karl Völk, Pfarrer des Wehrmachtsstandortes Salzburg, hatte Johann SEVIGNANI von der Zelle bis zum Richtplatz seelsorglich begleitet:
Er [Johann SEVIGNANI] hat mit kindlicher Andacht die heiligen Sakramente empfangen. Ich blieb bei ihm bis zu seinem Tode. Den Rosenkranz und das Gebetbüchl übersandte er dem Vater.
Kurz vor dem Tode sagte er: Der Vater möge auf das Grab der Mutter einen Blumenstrauß legen als Zeichen dankbarer Liebe gegen die Mutter.
Nach derzeitigem Wissensstand war Johann SEVIGNANI das fünfzehnte und letzte Opfer der Kriegsjustiz, das auf dem Militärschießplatz in Glanegg bei Salzburg erschossen und auf dem Kommunalfriedhof anonym begraben wurde – eine Mordmaschinerie, die störungsfrei funktionierte.
Befremdlich ist dennoch, dass SEVIGNANI weder in der 1991 publizierten Dokumentation Widerstand und Verfolgung in Salzburg 1934-1945 noch in der digitalen Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes aufscheint.
Schließlich ist festzuhalten, dass Johann SEVIGNANIS jüngerer Bruder Josef, geboren am 13. August 1925 in Going, am 30. April 1945 bei Triest erschossen wurde.
Drei Geschwister und ihr verwitweter Vater überstanden die Terrorjahre.
1 Dr. Erich Peyrer-Heimstätt (geb. 1899, gest. 1977 in Salzburg), im Zivilberuf Notar, in den Kriegsjahren 1944/45 »Oberstabsrichter« des Kriegsgerichtes der Division 418, im befreiten Österreich wieder im Zivilberuf, schließlich Mitglied des Kuratoriums der Internationalen Stiftung Mozarteum und Präsident der Freunde der Salzburger Festspiele.
2 Dr. Ferdinand Voggenberger (geb. 1894, gest. 1967 in Salzburg), Richter am Landesgericht Salzburg, »Kriegsgerichtsrat« und »Oberstabsrichter«, 1945 wegen NSDAP-Mitgliedschaft entlassen, galt als »minderbelastet«, amnestiert, danach Rechtsanwalt in Salzburg.
3 Generalleutnant Otto Schönherr (Edler von Schönleiten, geb. 1888 in St. Pölten, gest. 1954 in Ried, Tirol), war Offizier der k. u. k. Armee, des österreichischen Bundesheeres und der deutschen Wehrmacht, Kommandeur der in Salzburg stationierten Division 418 bis zur Befreiung durch die Alliierten; er war Vater des Schauspielers Dietmar Schönherr, der sich für die deutsche Friedensbewegung und für Solidaritätsprojekte in Nicaragua engagierte.
Quellen
- Österreichisches Staatsarchiv: Kriegsgerichtsakte St. L. II 9/1945
- Archiv der Erzdiözese Salzburg: Militärmatriken, Sterbebuch (Mitteilung vom 19. 1. 2022)
- Stadtarchiv Salzburg: Mitteilung der Friedhofverwaltung
Stolperstein
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