Berta SCHMIDBERGER überlebte als sechsjähriges Mädchen den Holocaust. Sie war 73 Jahre alt, als sie am 15. September 2011 in der Stadt Salzburg zum Auftakt der Vortragsreihe »Leben im Terror« vom Bürgermeister Heinz Schaden herzlich begrüßt wurde.
Bis zu diesem Zeitpunkt war der Öffentlichkeit nicht bekannt, dass am 14. Februar 1945, in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, fünf Frauen und zwei Kinder aus Salzburg vom Polizeigefängnis am Rudolfsplatz, der unter dem NS-Regime den Namen des deutschnationalen Burschenschafters und Antisemiten Georg von Schönerer führte, in das KZ Theresienstadt deportiert wurden: »Sondertransport IV/15e«, registrierter Zugang am 15. Februar 1945, befreit am 8. Mai 1945 durch sowjetische Truppen.
Die Namen der in Theresienstadt Befreiten, darunter die 41-jährige Friederike Schmidberger und ihre Kinder Berta und Stanislaus, sechs bzw. neun Jahre jung, finden wir in dem 2005 publizierten »Theresienstädter Gedenkbuch – Österreichische Jüdinnen und Juden«.
Beachtenswert ist dabei, dass Frau Schmidberger, die Mutter der Geschwister Berta und Stanislaus, keine Jüdin war, auch nicht im Sinne der Nürnberger Rassengesetze.
Friederike Schmidberger, in der Salzburger Gemeinde Vigaun bei Hallein geboren, katholisch getauft und als lediges Kind einer Dienstmagd unter prekären Verhältnissen aufgewachsen, lebte und arbeitete in Hallein, Salzburg und Wien: ein bewegtes Leben, zeitlebens unverheiratet, aber mit einem Partner, der Jude war: Nathan Fogel.
Frau Schmidberger hatte aus ihrer Partnerschaft zwei Kinder: Stanislaus, geboren am 1. April 1935, und Berta, geboren am 22. Juli 1938 in Wien.
Unter dem NS-Regime wohnte die Mutter mit ihren Kindern in Salzburg und Hallein, während der im November 1938 aus Österreich vertriebene Kindesvater im besetzten Polen lebte, dort die Terrorjahre überstehen konnte – getrennte Wege und Schicksale.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges war Friederike Schmidberger auf der Suche nach ihrem vertriebenen Lebenspartner Nathan Fogel in Polen – eine vergebliche und gefährliche Reise, wie sich herausstellte.
Derweilen befanden sich Berta und Stanislaus im Kinderheim der Stadt Salzburg, Bärengässchen 6. Da die beiden Kinder polizeilich gemeldet waren, kann anhand ihrer Personenkarten mit Gewissheit ausgeschlossen werden, dass ihre jüdische »Abstammung« der Gestapo oder sonst einer nationalsozialistischen Behörde bekannt war.
Als Frau Schmidberger jedoch im Kriegsjahr 1943 in einem Reservelazarett in Hallein arbeiten musste und dort mit ihren Kindern gemeldet war, schöpfte die für uneheliche Kinder zuständige Behörde (Amtsvormundschaft) Verdacht. Ihr gelang es, die Identität des leiblichen Vaters der Kinder Berta und Stanislaus zu ermitteln. Am 1. Oktober 1943 informierte der Landrat des Kreises Hallein (Bezirkshauptmannschaft) die Gestapo Salzburg über die »Abstammung« der beiden Kinder mit folgendem Wortlaut:
Nachträglich wurde festgestellt, daß die obengenannten Minderjährigen auf Grund der 1. Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 14. 11. 1935 (RGBl. I. S. 1333) als Juden gelten. Die Minderjährigen stammen aus einem Verhältnis des Fräulein Friederike Schmidberger und dem Juden Nathan Vogel [Fogel], derzeit Aufenthalt unbekannt.
Zu diesen Kindern hat der Jude Nathan Vogel [Fogel] die Vaterschaft anerkannt. Fräulein Schmidberger, die bisher als Kanzleikraft im Reservelazarett Hallein beschäftigt war, wurde am 11. 8. 1943 fristlos entlassen, sodaß die Mutter und ihre minderjährigen Kinder jetzt der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fallen. Ich bitte die eventuelle Evakuierung [Deportation] zu veranlassen.
Laut der zitierten Verordnung vom 14. November 1935 (§ 5 Abs. 2 d) galt ein »jüdischer Mischling«, der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden stammte und nach dem 31. Juli 1936 geboren wurde, als Jude.
Die Halleiner Behörde berief sich auf ein Reichsgesetz, das für Österreich erst nach dem »Anschluss« Gültigkeit erhielt – Unrecht allemal, Willkür überdies.
Die Geschwister Berta und Stanislaus, die keiner jüdischen Gemeinde angehörten und bekenntnislos waren, galten somit als Juden und überdies – mit der fristlosen Entlassung ihrer Mutter – als Sozialfälle, die »evakuiert« (deportiert) werden sollten, als ob damit den Betroffenen Schutz vor drohendem Unheil geboten würde – Perfidie in der Wortwahl, Kalkül in der Sache.
Die Mutter und ihre gefährdeten Kinder führten ein Leben zwischen Angst und Hoffnung. In den sechzehn Kriegsmonaten bis zur Deportation mussten sich Friederike Schmidberger und ihre Kinder in regelmäßigen Abständen bei der Gestapo Salzburg melden.
Gewiss ist außerdem, dass die Mutter alles Erdenkliche zum Schutz ihrer Kinder tat und die Gestapo dem Ersuchen der Halleiner Behörde um »Evakuierung« der beiden Kinder keine Dringlichkeit beimaß.
Am 7. März 1944, fünf Monate nach dem Schreiben der Halleiner Behörde an die Gestapo-Stelle Salzburg, antwortete der stellvertretende Gestapo-Leiter Dr. Theodor Grafenberger:
Die Evakuierung der nachträglich als Juden festgestellten Personen wird zum gegebenen Zeitpunkt veranlasst. Bis dahin verbleiben die Juden in ihrem bisherigen Wohnort.
Da die Gestapo Salzburg auch in den folgenden Monaten eine »Evakuierung« der beiden Kinder – wohl auf Bitten ihrer Mutter – nicht anordnete, wiederholte die Halleiner Behörde am 15. August 1944 ihr dringliches Anliegen:
Ich bitte wenn möglich die Evakuierung der beiden genannten Kinder baldmöglichst durchzuführen, da die Kindesmutter alle Behörden überläuft und von keiner Behörde unterstützt werden kann.
Falsch war demnach die Behauptung der Behörde in ihrem Schreiben vom 1. Oktober 1943 an die Gestapo, dass die als Kanzleikraft entlassene Mutter und ihre Kinder der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fielen.
Für die Behörde, die sich jeder sozialen Verantwortung entzog, war es außerdem ohne Belang, auf welche Weise die arbeitslose Mutter und ihre beiden Kinder ihr Leben ohne öffentliche Unterstützung fristeten – sowohl dank der Hilfsarbeiten der Mutter in der Gastwirtschaft als auch dank der Hilfe lieber Freunde, die sich dabei der Gefahr aussetzten, als Judenfreunde denunziert zu werden.
Hochachtung verdient die Mutter, die ihre Kinder in ihrer schweren Bedrängnis nicht im Stich lassen wollte. Das erklärt aber noch nicht die Tatsache, dass die Mutter, die keine Jüdin war, in einem »Judentransport« nach Theresienstadt mitfahren konnte – mit Einwilligung der Gestapo und mit welcher Begründung?
Friederike Schmidberger war kein Mensch großer Worte, vielmehr eine couragierte Mutter, die in ihrem handschriftlichen Lebenslauf die offene Frage mit einfachen Worten beantwortete:
Anfang Jänner [Februar] 1945 holte die Gestapo meine Kinder ab, durch mein freiwilliges Bekennen zur Jüdischen Gemeinschaft durfte ich meine Kinder begleiten.
Die Gestapo ließ die Mutter mit ihren beiden Kindern in das Polizeigefängnis am »Georg-von-Schönerer-Platz« (Rudolfsplatz) einliefern und nach zwei Tagen und Nächten, am 14. Februar 1945, zwölf Wochen vor der Befreiung, nach Theresienstadt deportieren.
Berta und Stanislaus überstanden die Terrorjahre dank der Courage und Fürsorge ihrer Mutter. Im Juli 1945, nach dem Ende der Typhusepidemie und Quarantäne im befreiten Theresienstadt, konnten sie gemeinsam in einem Militärtransport der US-Armee nach Salzburg zurückkehren, allerdings schwer traumatisiert, wie aus Dokumenten hervorgeht.
Frau Schmidberger und ihre beiden Kinder, die im Jahr 1948 beim Amt der Salzburger Landesregierung um Opferfürsorge ansuchten, wurden erst gegen Ende 1952 als »Opfer der politischen Verfolgung« anerkannt.
Nathan Fogel, der Lebenspartner und Kindesvater, der die Verfolgung in Polen überstanden hatte, traf im September 1946 in Salzburg ein. Mitte der 1950er Jahre übersiedelten sie gemeinsam nach Leopoldsdorf im Marchfeld und schließlich nach Wien.
Doch kein Ende im Glück: Der Vater starb früh an Herzinfarkt, dann die Mutter an Schlaganfall, beide ledig und verschiedenen Religionen zugehörig, daher getrennt bestattet.
Stanislaus starb 56-jährig im Jahr 1991, der letzte, mit dem seine Schwester Berta ihre leidvollen Erinnerungen teilen konnte.
Berta SCHMIDBERGER, als Holocaust-Überlebende ein Ehrenmitglied des Bundesverbandes der israelitischen Kultusgemeinden Österreichs, starb 77-jährig am 29. Oktober 2015 in Wien, bestattet im Grab ihrer Mutter und ihres Bruders Stanislaus.
Quellen
- Stadt- und Landesarchiv Salzburg
- Stadtarchiv Hallein
- Magistrat der Stadt Wien
- Israelitische Kultusgemeinde Wien
- Privatarchiv Berta Schmidberger
Stolperstein
verlegt am 04.08.2018 in Salzburg, Rudolfsplatz 3