Olga SACHSEL, geborene Lichtenstein, geboren am 27. Juli 1876 in Mittel-Altenbuch (Staré Buky), Bezirk Trautenau (Trutnov) in Böhmen, damals Österreich-Ungarn, war das zweite von drei Kindern des jüdischen Ehepaares Camilla Oesterreicher und Dr. Moriz Lichtenstein, Hof- und Gerichtsadvokat (Rechtsanwalt) in Wien I, Hoher Markt 4, beide bestattet in der israelitischen Abteilung des Wiener Zentralfriedhofs.
Ihre Tochter Olga heiratete 1908 im Wiener Stadttempel den Arzt Dr. Maximilian Sachsel, geboren am 15. November 1870 in Neubidschow (Novy Bydzov) in Böhmen, der in Wien Medizin studiert hatte. Am 7. April 1909 kam ihr Sohn Eduard in Wien zur Welt.
Hernach lebte die Familie in der Prager Vorstadt Karolinenthal (Praha-Karlin), wo Dr. Sachsel seine Arztpraxis hatte. Er starb im März 1935 in Prag.
Aus der Todesanzeige in der Neuen Freien Presse geht hervor, dass sein Sohn Eduard zu diesem Zeitpunkt schon Doktor der Philosophie war. Er hatte an der philosophischen Fakultät der Universität Wien beim namhaften Geologen und Forscher Dr. Franz Eduard Suess promoviert und fachspezifisch publiziert (Austrian Journal of Earth Sciences).
Olga Sachsel, die seit Jahren literarisch tätig war, Prosa und Lyrik schrieb, widmete ihr Buch der Erinnerungen ihrem verstorbenen Mann: Dein Gedenk ich (Prag 1935).
Die Pragerin, die sich wie viele Jüdinnen und Juden aus dem Bildungsbürgertum von den mondänen Salzburger Festspielen und ihrem Magier Max REINHARDT auf Schloss Leopoldskron angezogen fühlte, erwarb im August 1932, noch zu Lebzeiten ihres Mannes, ein Altstadthaus in Salzburg: Linzer Gasse 24.
Die Wahl-Salzburgerin Olga Sachsel konnte sich ihres Domizils allerdings nur bis zum Gewaltjahr 1938 erfreuen. Das unter dem NS-Regime als jüdisches Vermögen kategorisierte Haus Linzer Gasse 24 wurde allerdings aus unbekannten Gründen nicht enteignet.
Es wurde jedoch im November 1944 bei Bombardements der Stadt Salzburg schwer beschädigt.
Zu diesem Zeitpunkt war seine Eigentümerin schon anderthalb Jahre tot: Die Witwe Olga Sachsel, die in Prag, Riegrova 12, wohnte und zuletzt im Stadtteil Smichov, Erbenova 12, vermutlich in einer „Sammelwohnung« für Jüdinnen und Juden gemeldet war, wurde am 20. Juli 1942 – im Transport AAs gemeinsam mit ihrem Schwager Emil Sachsel und seiner Frau Jeannie, geborene Lichtenstein – nach Theresienstadt und am 22. Oktober 1942 – im Transport Bx wieder gemeinsam mit Emil und Jeannie Sachsel – nach Treblinka deportiert, dort im Alter von 66 Jahren am 22. April 1943 ermordet.
Ihr Sohn Dr. Eduard Sachsel und seine Ehefrau Grete, geborene Löwy, die zuletzt ebenfalls in Smichov, Erbenova 12, gemeldet waren, wurden am 10. August 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Der 33-jährige Ehemann kam dort nach siebentägiger Haft am 17. August 1942 gewaltsam zu Tode. Seine Mutter, die somit den Tod ihres Sohnes in Theresienstadt erleben musste, änderte am 15. Oktober 1942, knapp vor ihrer Transferierung nach Treblinka, ihr Testament, indem sie ihre Schwiegertochter Grete, die in Theresienstadt verblieb, als Erbin ihres Vermögens einsetzte.
Olga Sachsel konnte während ihrer KZ-Haft nichts Gewisses über das Schicksal ihrer beiden Brüder im nationalsozialistischen Wien in Erfahrung bringen.
Bekannt ist heute, dass ihr älterer Bruder Dr. Georg Lichtenstein, Rechtsanwalt in der Kanzlei seines verstorbenen Vaters, im Jahr 1942 auf Kuba starb, bestattet auf dem jüdischen Friedhof in Guanabacoa bei Havanna.
Ihr jüngerer Bruder Rudolf Lichtenstein, von Beruf Pharmazeut, wurde am 15. Mai 1942 von Wien nach Izbica im Distrikt Lublin deportiert, entweder in Belzec, Sobibor oder Majdanek ermordet.
Allein Olga Sachsels Schwiegertochter Grete überlebte die Terrorjahre im KZ. Sie emigrierte nach Israel.
Über das in Prag hinterlassene Vermögen ihrer ermordeten Schwiegermutter ist hierzulande nichts bekannt. Ihr unter dem NS-Regime nicht enteignetes, aber schwer beschädigtes Haus in Salzburg brauchte nicht restituiert zu werden. Die gerichtliche Anerkennung der israelischen Staatsbürgerin als Erbin zog sich jedoch in die Länge.
Grete Sachsel, wiederverehelichte Mahler, verkaufte noch im Jahr 1955, gleich nach der amtlichen Eintragung ihrer Erbschaft im Grundbuch der Stadt Salzburg, das Haus Linzer Gasse 24.1
Grete Mahler starb 1992 in Israel.
Das Werk der Übersetzerin und Schriftstellerin Olga Sachsel, die zumeist unter dem Doppelnamen SACHSEL-LICHTENSTEIN publizierte, blieb bislang in historisches Dunkel gehüllt – hierzulande eine Folge der Shoah, der Gleichgültigkeit, des Nicht-Wissen-Wollens und Verharrens in nationalen Denkkäfigen.
Zudem ist eine kritische Beurteilung des literarischen Werkes der Frau noch ausstehend, weil ihre vor dem Jahr 1933 in deutschen Verlagen und danach in Prag erschienenen Bücher in keiner österreichischen Bibliothek zu finden sind, auch mittels Fernleihe nicht zu bekommen sind: Spanische Novellen (1918), Neue spanische Novellen (1921), Stille Helden: Roman aus dem neuen Wien (1926), Blätter im Winde: Gedichte (1929), Heimweh (1931), Die Spieluhr und andere Stimmungsbilder aus meinem Leben (1931), Dein Gedenk ich: Ein Buch der Erinnerung (1935 ihrem verstorbenen Mann gewidmet) und Wandervögel: Drei Frauenschicksale (1938).2
Dank der Initiative Reinhold Ritts von der Universitätsbibliothek Salzburg erhielten wir aus Berlin immerhin eine Kopie des 1931 erschienenen Erzählbandes Die Spieluhr.3
Darin wird eine Begegnung des Wiener Rechtsanwaltes Dr. Moriz Lichtenstein, des Vaters der Autorin, mit einem Jugendfreund geschildert, der in der Reichshauptstadt Wien politische Karriere machte: Bürgermeister Dr. Karl Lueger, dem christlich-soziale Antisemiten, aber auch Adolf Hitler »unverhohlene Bewunderung« entgegenbrachten – Karl Lueger, der es in der Erzählung Olga SACHSEL-LICHTENSTEINS verstand, Vorhaltungen seines jüdischen Jugendfreundes jovial zu parieren: »Nana, reg Di nur net auf; privat hab ich die Juden ganz gern, es san prächtige Leut’ unter ihnen, aber im öffentlichen Leben san’s halt doch gefährlich …«
Der 1941/42 in Wien und Berlin gedrehte Propagandafilm Wien 1910 über die letzten Tage Karl Luegers, des verklärten Hitler-Vorläufers, diente als Rechtfertigung der rassistischen Vernichtungspolitik.
1 Eigentümer der Liegenschaft Linzer Gasse 24: 1902 Anton und Maria Schein, 1932 Olga Sachsel, 1955 Grete Sachsel, wiederverehelichte Mahler, Verkauf (Grundbuch Salzburg Innere Stadt, EZ 489)
2 Werke von Olga Sachsel-Lichtenstein in der Deutschen Nationalbibliothek, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz und Narodni knihovna Ceski republiky
3 Gert Kerschbaumer: Drei verfolgte Autorinnen: Aus den Augen, aus dem Sinn? In: SALZ, Zeitschrift für Literatur, Heft 142, Dezember 2010, S. 49f.
Quellen
- Israelitische Kultusgemeinde Wien
- Narodni Archiv Praha
- Landesarchiv Salzburg (Grundbuch)
Stolperstein
verlegt am 18.04.2013 in Salzburg, Linzer Gasse 24
Foto: Stadtarchiv Salzburg, Bauakten Olga Sachsel-Lichtensteins literarisches Werk »Die Spieluhr und andere Stimmungsbilder aus meinem Leben« (Deckblatt), 1931 Olga Sachsel-Lichtenstein
Quelle: www.geni.com Haus Linzer Gasse 24, aufgenommen in den 1920er Jahren
Foto: Stadtarchiv Salzburg, Fotosammlung Rudolph Klehr