Walter RUDLE, geboren am 24. Juni 1915 in Bad Hofgastein, Land Salzburg, war das jüngste von drei Kindern des katholischen Ehepaares Amalie und Johann Rudle, der als Kanzlist im Amt der Salzburger Landesregierung beschäftigt war.

Die in Salzburg lebende Familie war hier nach österreichischem Recht heimatberechtigt.
Sohn Walter absolvierte die Handelsschule, arbeitete als Bürokraft im Arbeitsamt, diente rund ein halbes Jahr im österreichischen Bundesheer und heiratete eine 20-jährige Kärntnerin, die in Salzburg drei Kinder bekam: Walter jun. im November 1937 und die Zwillinge Gertrud und Edith im April 1939.

Walter RUDLE war 23 Jahre alt, als er im Herbst 1938 zur Deutschen Wehrmacht einberufen, jedoch nach wenigen Wochen aus gesundheitlichen Gründen (Herzfehler) entlassen wurde. Er galt laut militärärztlichem Befund als nicht wehrdienstfähig. Auch Nachmusterungen hatten kein anderes Ergebnis. RUDLE besuchte eine Zeit lang die Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, um Schauspieler zu werden.

Im Herbst 1939 bekam er ein Engagement am Stadttheater Troppau (Opava), damals »Reichsgau Sudentenland«, im besetzten Gebiet der Tschechoslowakischen Republik.
Im August 1940 wurde er als Schauspieler für eine »Kraft-durch-Freude«-Truppe im besetzten Norwegen verpflichtet.

RUDLE blieb dort in den Kriegsjahren. Von Jänner 1941 bis April 1945 war er Radiosprecher des reichsdeutschen Besatzungssenders, des »Soldatensenders Oslo« der Abteilung Rundfunk des »Reichskommissars für die besetzten norwegischen Gebiete«.

Walter RUDLES Chef hieß Dr. Hellmuth Habersbrunner, ein Teilnehmer des Hitler-Putsches von 1923, der unter dem NS-Regime Karriere machte: zunächst Intendant des Reichssenders München, schließlich Leiter der Abteilung Rundfunk im besetzten Norwegen.

Gewiss ist, dass auch RUDLE, obschon er weder der NSDAP noch der Deutschen Wehrmacht oder SS angehörte, der nationalsozialistischen Propaganda in Norwegen zu dienen hatte.
Er war Zivilangestellter in »UK-Stellung«, im Krieg bis auf Widerruf »unabkömmlich«, wie die vom Kriegsdienst freigestellten, somit privilegierten Künstler, die noch als letzte Reserven mobilisiert werden sollten, als die Niederlage des Deutschen Reiches voraussehbar war.

Der Verlauf der letzten dreizehn Lebenstage des 29-jährigen Salzburgers Walter RUDLE im besetzten Norwegen ist in der umfangreichen Polizei- und Gerichtsakte »StL. II Nr. 83/45« dokumentiert, die sich noch heute im norwegischen Riksarkivet (Reichsarchiv) befindet.
Die Akte des SS- und Polizeigerichtes Nord enthält sogar Ermittlungsberichte und Verhörprotokolle der Geheimen Feldpolizei 629. Irritierend ist die Schreibweise des Namens Walter RUDLE: »Walther Rüdle«.

Die Angaben der Polizei sind aber zumeist durch Dokumente belegt: »Walther Rüdle«, der seinen Dienst beim reichsdeutschen Sender zum 10. April 1945 gekündigt hatte, erhielt an diesem Tag seine »Marschpapiere«, den »Bereitstellungsschein« des Wehrbezirkskommandos Salzburg mit dem Befehl, sich dort zwecks Einberufung zum aktiven Wehrdienst zu melden, und dazu den ebenfalls in der SS-Gerichtsakte liegenden, daher unbenutzten »Wehrmacht-Fahrschein 3. Klasse RB No 793373 für eine Person mit Reisegepäck von Bhf Oslo nach Bhf Salzburg«.

Am 12. April, zwei Tage nach dem Marschbefehl, wurde RUDLE gemeinsam mit der Stenotypistin Hertha B., einer Deutschen, die seine Geliebte gewesen sei, und samt Reisegepäck in Lillestrøm bei Oslo von der Geheimen Feldpolizei verhaftet und im Wehrmachtsgefängnis Akershus verhört.
Im Bericht der Geheimen Feldpolizei heißt es, dass die beiden Verhafteten »im Begriffe standen, nach Schweden zu flüchten«.

Eine Fluchtskizze, die ein norwegischer Fluchthelfer angefertigt und Walter RUDLE bei sich getragen hatte, diente als Beweisstück.
Auffallend an der Beweissicherung der Polizei ist, dass die Identität des Norwegers, der als Fluchthelfer fungieren sollte, nicht festgestellt werden konnte, obschon die Festnahme des Paares wenige Minuten vor dem zweiten Treffen mit dem unbekannten Norweger in Lillestrøm stattfand. War der Unbekannte ein V-Mann oder Informant der Polizei, dann ist anzunehmen, dass das Liebespaar in eine Falle der Geheimen Feldpolizei tappte.

Gewiss ist, dass die Geheime Feldpolizei ein Beweisstück in ihren Händen hielt und die Flucht des Paares als »fest beschlossene Sache« beurteilte. Eine Absicht konnte allerdings angesichts des Fluchtkoffers mit persönlichen Utensilien nicht geleugnet werden.

Die vereitelte Flucht von Lillestrøm in das rund 120 km entfernte neutrale und unbesetzte Schweden hatte aber für den männlichen Part fatale Folgen, da selbst eine Fluchtabsicht als »Wehrdienstentziehung« beurteilt werden konnte, vorausgesetzt dass Walter RUDLE, obschon wegen seines Herzfehlers nicht wehrdienstfähig, als Wehrmachtsangehöriger galt, wozu offensichtlich schon der »Bereitstellungsschein« des Wehrbezirkskommandos Salzburg vom 10. April 1945 reichte.

Das Kriegsdelikt »Wehrdienstentziehung« bekam eine politische Dimension durch die negative Beurteilung des Rundfunk-Intendanten Dr. Habersbrunner: »Walther Rüdle« habe seine Pflichten nachlässig erfüllt, habe deshalb scharf zurechtgewiesen werden müssen und könne zudem keineswegs als überzeugter Nationalsozialist angesehen werden.
Einer Mitarbeiterin sei sogar zu Ohren gekommen, »Rüdle« soll gesagt haben, dass er Österreicher sei, dem bei einer Besetzung Norwegens durch die Alliierten nicht viel passieren könne.
Mit dieser Denunziation hätte RUDLE zusätzlich wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« verfolgt werden können.

Es scheint aber, dass die Geheime Feldpolizei, die keine Anklagebehörde war, auch keinen Strafantrag stellen konnte, mit ihrem »Schlussbericht« darauf abzielte, dass RUDLE wegen »Zersetzung der Wehrkraft« nach § 5 der »Kriegssonderstrafrechtsverordnung« (KSSVO) abgeurteilt wird. Dafür waren entweder Kriegsgerichte der Deutschen Wehrmacht oder SS- und Polizeigerichte zuständig. Beachtenswert ist dabei, dass die SS ihre Zuständigkeit auf Zivilpersonen ausdehnte und in ihrem Operationsgebiet Justizwillkür betrieb, deren erstes Opfer die Wahrheit ist.

Vergeblich ist die Suche nach einer Anklageschrift. Es existiert gar keine schriftliche Anklage, da SS-Untersturmführer Dr. Schmidt, SS-Richter der Reserve, als »Vertreter der Anklage« des SS- und Polizeigerichtes Nord die Anklage bloß mündlich erhob.
Dr. Schmidt beantragte, den Angeklagten »Walther Rüdle« wegen »Wehrdienstentziehung« zum Tode zu verurteilen und ihm – dem alle Bürgerrechte verweigert wurden – die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit abzuerkennen.

Der Angeklagte hatte einen SS-Richter als »Verteidiger von Amts wegen«: SS-Hauptsturmführer Nöthlichs, der im Angeklagten einen Weichling sah, unter dem Einfluss einer Frau stehend.
Als Richter fungierten drei Offiziere der SS und Polizei: SS-Obersturmbannführer Hans Latza als Chefrichter und Vorsitzender, SS-Hauptsturmführer Görtz und Hauptmann Dr. Bieber vom SS-Polizei-Regiment 27 als Beisitzer.

Ihr Urteil stand von vornherein fest, das zeigt sich in der Dauer der Gerichtsverhandlung: exakt 65 Minuten, davon jede Minute voller Angst, die Walter RUDLE als Zivilperson vor den mit SS-Uniformen adjustierten Richtern zu stehen hatte, wobei er – in Absprache mit seinem »Verteidiger von Amts wegen« – vergeblich versucht hatte, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen: Er sei zeitweise einer Schwäche erlegen. Privates soll privat bleiben. Erwähnenswert ist lediglich, dass Walters Geliebte Hertha B. im Verfahren bloß als Zeugin erscheint.
Die Richter vertraten im Gegensatz zum Verteidiger des Angeklagten die Meinung, dass die Frau unter dem Einfluss des Mannes gestanden habe.

Am 19. April 1945 fällte das SS-Gericht sein »Feld-Urteil« in der Hauptstadt Oslo. »Im Namen des Deutschen Volkes« verkündete der Chefrichter der SS Hans Latza, dass der »Angestellte Walther Rüdle« wegen »Zersetzung der Wehrkraft, begangen durch Wehrdienstentziehung«, mit dem Tode bestraft werde und dass ihm die bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit aberkannt werden. Es folgte die richterliche Belehrung des Verurteilten: Rechtsmittel seien unzulässig.

Am Bluturteil kann der Hinweis nichts ändern, dass Walter RUDLE als »Angestellter«, demnach als Zivilperson und nicht als Wehrmachtsangehöriger durch das SS-Gericht wegen »Zersetzung der Wehrkraft« mit dem Tode bestraft wurde.
Dem Verurteilten, im Wehrmachtsgefängnis Akershus inhaftiert, blieb nur mehr die Bitte um Begnadigung und »Frontbewährung«: ein mehrseitiger Bittbrief, der zeigt, dass er kein couragierter Held sein konnte.

Das letzte Wort hatten am 20. April 1945, dem letzten Geburtstag des »Führers«, drei Herren, die kurz vor dem Ende ihrer Mörderkarriere standen: Hans Latza als Chefrichter, der rund 25 Todesurteile gefällt hatte, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Wilhelm Rediess als Höherer SS- und Polizeiführer und Josef Terboven als Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete – drei Gerichtsherren, die Walter RUDLE keinen Gnadenerweis erteilen wollten, auch seine letzte Bitte um ein Treffen mit Fräulein Hertha B. ablehnten, stattdessen die sofortige Vollstreckung der Todesstrafe durch Erschießen verfügten.

Um 4 Uhr früh des 23. April 1945 wurde der zum Tode verurteilte »Walther Rüdle« im Kriegswehrmachtsgefängnis Akershus einem SS-Obersturmführer vorgeführt, der die Aufgabe hatte, dem Verurteilten die Verfügungen der Gerichtsherren zu übermitteln.
Der Verurteilte erhielt noch die Erlaubnis, Briefe zu schreiben. Die Anwesenheit eines Geistlichen ist nicht protokolliert, obschon römisch-katholisch als Religionsbekenntnis in den Dokumenten des Verurteilten vermerkt ist.

Um 6 Uhr 10 wurde der 29-jährige Walter RUDLE von einem SS-Kommando im Kriegswehrmachtsgefängnis Akershus bei Oslo erschossen. Hierauf genehmigte das SS- und Polizeigericht die Bestattung der Leiche – ohne Angabe des Ortes: Bekannt ist mittlerweile, dass RUDLE zunächst, wie damals bei »ehrlosen« deutschen Soldaten Usus, auf Grefsen Kirkegård, jedoch im Herbst 1953 auf Alfaset Krigskirkegård, dem deutschen Soldatenfriedhof, beerdigt wurde.

Zunächst ging von Oslo eine Mitteilung über den Sterbefall an die »Auskunftsstelle für Kriegsverluste«. Unwahrscheinlich ist aber, dass die vom SS- und Polizeigericht mit 30. April 1945 datierten Mitteilungen über den Sterbefall ihre beiden Empfänger, den Oberstaatsanwalt und die Polizeibehörde in Salzburg erreichten.
Der »Kriegsverlust« – der Justizmord an Walter RUDLE in Oslo – wird im Polizeimelderegister der Stadt Salzburg erst im Laufe des Jahres 1947 nach einer amtlichen Mitteilung aus Wien vermerkt: »gefallen am 23. 4. 45 in Norwegen lt. Sterbebuch 3261/47 St. Amt Wien VI Amerlingstr. 17«.

Anzunehmen ist, dass Walter RUDLE in seinen letzten Stunden an seine Lieben in Salzburg Briefe schrieb. Seine Eltern, Geschwister, Ehefrau und Kinder erhielten jedenfalls die traurige Nachricht.

Auf einem Totenzettel, der traditionsgemäß bei einem Begräbnis an die Trauergäste verteilt wird, steht geschrieben:

Christliches Andenken an unseren heißgeliebten Sohn und Vater, Bruder, Schwager und Onkel, Herrn Walter C. P. Rudle […] Wenige Tage vor der deutschen Kapitulation wurde er von einem SS-Gericht zum Tode verurteilt und am 23. April 1945 erschossen.
Er konnte seine so heißgeliebte Bergheimat nicht mehr wiedersehen. Ehre seinem Andenken!

Dank gebührt dem norwegischen Forscher Jomar Hønsi für die Recherchen im Reichsarchiv Oslo.

Quellen

  • Stadt- und Landesarchiv Salzburg
  • Riksarkivet (Reichsarchiv) Oslo: Gerichtsakte StL. II Nr. 83/45 des SS- und Polizeigerichtes Nord
Autor: Gert Kerschbaumer
Recherche: Jomar Hønsi

Stolperstein
verlegt am 18.08.2016 in Salzburg, Chiemgaustraße 7

<p>HIER WOHNTE<br />
WALTER RUDLE<br />
JG. 1915<br />
KRIEGSDIENST VERWEIGERT<br />
HINGERICHTET 23.4.1945<br />
IN OSLO</p>
Parte von Walter Rudle Foto: Gert Kerschbaumer

Stolperstein
verlegt am 18.08.2016 in Salzburg, Chiemgaustraße 7

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